IP-Schutzartenprüfungen bei Electrosuisse Dicht ist nicht gleich dicht

Redakteur: Silvano Böni |

Was darf ich meinem neuen Gerät zumuten, wenn der Hersteller verspricht, dass es wasser- und staubdicht ist? Hält es draussen einem Regenguss stand? Oder darf ich es gar mit dem Hochdruckreiniger abspritzen? Und wie steht es mit der Verwendung auf einer staubigen Baustelle? Ist das Produkt mit einem IP-Code versehen, lassen sich solche Fragen leicht beantworten.

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Für den Einsatz im industriellen Umfeld ist ein Spritzwasserschutz nach IP X4 erforderlich.
Für den Einsatz im industriellen Umfeld ist ein Spritzwasserschutz nach IP X4 erforderlich.
(Bild: Electrosuisse)

Der IP-Code hält fest, wie gut ein Produkt gegen schädliches Eindringen von Festkörpern und Wasser geschützt ist. Das Auge und der gesunde Menschenverstand reichen nicht immer aus, um zu beurteilen, welchen Strapazen ein Betriebsmittel, Gehäuse oder eine Verpackung ausgesetzt werden darf. «Was dicht aussieht, muss es nicht unbedingt sein – und umgekehrt!» Diese Beobachtung fasziniert Bernardo Rieder, den Leiter der akkreditierten Prüfstelle für sicherheitstechnische Prüfungen, elektromagnetische Verträglichkeit (EMV) und Umweltprüfungen bei der Electrosuisse, immer wieder. Gemeinsam mit dem Verkaufsingenieur Norbert Federspiel und einem erfahrenen Team von Prüfern sorgt er dafür, dass die IP-Schutzartenprüfungen bei der Electrosuisse unter besten Bedingungen ablaufen. Zwar darf jeder Hersteller den IP-Schutzgrad seines neuen Produktes selbst deklarieren, doch nur ein ausführlicher Test mit sauber kalibrierten Geräten und entsprechendem Prüfwissen führt zu belastungsfähigen Aussagen. Der unabhängige Test lohnt sich ganz besonders dann, wenn der IP-Schutzgrad ein Alleinstellungsmerkmal des neuen Produktes ist und zu Marketingzwecken hervorgehoben wird. Das zeigt der Fall eines bekannten Herstellers für Unterhaltungselektronik. Aufgrund der Klagen einer unzufriedenen Kundin liess die Konsumentensendung Kassensturz das Versprechen «wasserdicht» in den Electrosuisse-Labors «öffentlich» nachprüfen – ein Imagerisiko, das sich vermeiden lässt!

IP-Schutzarten – eine vielseitige und dynamische Prüfnorm

Die Schutzartenprüfungen sind im Umfeld der elektrischen Sicherheit entstanden. Getestet wird nach den Prüfnormen EN 60529 (elektrische Betriebsmittel) oder nach ISO 20653 (Strassenfahrzeuge). Für gewisse Produkte ist der IP-Schutzgrad durch eine entsprechende Richtlinie oder Produktenorm vorgegeben. So ist eine Steckdose für Innenräume normalerweise mit dem Code IP 20 geschützt, in Industrieanlagen wird IP 54 verbaut (Werte siehe Kasten «Wie lese ich einen IP-Code?»). 2014 wurde ausgehend von den Bedürfnissen der Fahrzeugindustrie ein neuer Schutzgrad in die Prüfnorm EN 60529 aufgenommen. IP X9 weist aus, dass ein Gerät gegen das Eindringen von Wasser bei Hochdruck- beziehungsweise Dampfstrahlreinigung sicher ist. Wichtig ist dieser Schutzgrad zum Beispiel für Scheinwerfermotoren, die auch nach einer gründlichen Autoreinigung noch funktionieren müssen.

Nicht nur für Elektrogeräte ein Wettbewerbsvorteil

Das Beispiel aus der Fahrzeugindustrie zeigt: IP-Schutzgrade sind zunehmend auch für Betriebsmittel, Gehäuse und Verpackungen relevant, von denen keine direkte Gefahr durch elektrische Spannung ausgeht. Gerade im Bereich der Unterhaltungselektronik erwarten die Konsumenten immer mehr von ihren Geräten: So sollen zum Beispiel das mobile Telefon und der Tablet-PC auch nach einem Taucher in der Badewanne noch einwandfrei funktionieren. Und von seinem Fotoapparat verlangt der Benutzer, dass er auch Ausflügen in extreme Klimazonen und Abenteuern unter Wasser trotzt. Breite Anwendungsgebiete für die IP-Schutzartenprüfungen bieten auch der Medizinalbereich, etwa bei Hörgeräten, oder die Verpackungsindustrie.

Die akkreditierte und international anerkannte Prüfstelle der Electrosuisse führt jährlich mehr als 200 IP-Schutzartenprüfungen durch. Wer sich an das Electrosuisse-Team wendet, darf sich auf erfahrene Prüfer und geprüfte Testgeräte verlassen. Und selbstverständlich finden die Tests unter Einhaltung strengster Vertraulichkeit statt. Know-how- und Innovations-Schutz haben für die Mitarbeitenden oberste Priorität. Im Vorgespräch evaluiert Norbert Federspiel die besonderen Testwünsche des Kunden. So können die Prüfer zum Beispiel der Produkte-Alterung vorgreifen, indem die Prüflinge «vorgealtert» werden. Im Wasserlabor haben die Kunden die Möglichkeit, bei den Tests selbst dabei zu sein und mitzuerleben, wie ihr Produkt Sprühnebel, Spritzwasser oder Tauchbad ausgesetzt wird. Und weil nicht nur Wasser und Staub Geräten zu schaffen machen, simuliert und prüft Electrosuisse auch Umweltbelastungen, wie die Auswirkungen von Feuchtigkeits- und Temperaturschwankungen oder die Korrosionsgefahr. Für den Nachweis der Stoss- und Vibrationsfestigkeit eines Produktes arbeiten die Prüfer mit externen Labors zusammen.

Unabhängige Stimme bei der Entwicklung neuer Normen

Als unabhängige Prüfstelle führt die Electrosuisse jedoch nicht nur IP-Tests durch, sondern unterstützt auch die Entwicklung IP-relevanter Produktenormen. Aktuell ist Bernardo Rieder Mitglied einer technischen Kommission, die die Normierung für Steckvorrichtungen vorantreibt. Heute gibt es in der Schweiz keine Haushaltstecker und Steckdosen, die im angeschlossenen Zustand wasserdicht sind. So kann es schon mal vorkommen, dass es auf einer Baustelle «chlöpft», weil eine angeschlossene Kabelrolle bei nassem Wetter einen Kurzschluss auslöst. Das möchten die grossen Stecker- und Steckdosenhersteller mit der neuen Norm ändern.

Wie dicht ist dicht? Diese Frage wird bei jeder IP-Prüfung neu beantwortet. Dass die IP- Schutzarten nicht nur eine komplizierte, bürokratische Prüfnorm sind, sondern konkreten Anwendernutzen schaffen, dafür ist der Prüfstellenleiter Bernardo Rieder gleich selber ein gutes Beispiel. Die Schutzarten begleiten ihn auch in der Freizeit. Als passionierter Taucher und Bergsteiger ist er ein aktiver Nutzniesser verschiedenster IP-geprüfter Geräte. Tauchlampen stellt der gelernte Elektromonteur für den Eigengebrauch sogar selber her – natürlich wasserdicht, das ist Ehrensache! <<

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