Entspannter Feierabend im Auto Fahren oder gefahren werden

Autor / Redakteur: Mandy Kühn / Silvano Böni |

Nach der Arbeit erstmal Füsse hochlegen und Zeitung lesen – während einen das Auto sicher nach Hause bringt. Sogar die Parkplatzsuche übernimmt das schlaue Fahrzeug in Eigenregie. Ab 2030 könnte der Feierabend dank selbstfahrender Autos wesentlich entspannter werden.

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Auch die Schweizer Ideenschmiede Rinspeed sieht in autonom fahrenden Fahrzeugen die Zukunft.
Auch die Schweizer Ideenschmiede Rinspeed sieht in autonom fahrenden Fahrzeugen die Zukunft.
(Bild: Dingo Photo / Rinspeed)

Jürgen Geisler ist ein Pionier der ersten Stunde. Schon vor 25 Jahren forschte er am heutigen Fraunhofer-Institut für Optronik, Systemtechnik und Bildauswertung IOSB in Karlsruhe an Roboterautos, die bereits selbstständig Kreisverkehre meisterten und Kreuzungen überquerten. Im Umfeld des damals bislang grössten europäischen Förderprogramms «Prometheus» herrschte Anfang der 90er Aufbruchsstimmung in die mobile fahrerlose Zukunft. Doch schnell wurde klar: Die wirtschaftliche Umsetzung scheiterte an den technologischen Gegebenheiten. Die benötigte Rechnerleistung sprengte in Kapazität und Grösse den Rahmen des damals Machbaren, Sensortechnik und Internet steckten noch in den Kinderschuhen. Es folgten viele Jahre des Stillstands.

Grosse Erwartungen an autonomes Fahren

Heute ist Jürgen Geisler stellvertretender Institutsleiter des Fraunhofer IOSB. Sein Institut ist eine von vielen Fraunhofer-Einrichtungen, die Innovationen rund um das automatisierte Fahren entwickeln. Denn längst ist wieder Bewegung in den Menschheitstraum vom selbstfahrenden Auto gekommen. So erwartet nach einer BITKOM-Erhebung die Hälfte der 100 befragten Führungskräfte aus dem Automobilsektor den breiten Durchbruch für autonomes Fahren bis 2030, zwei Prozent sogar eher. Grosse Erwartungen werden damit verknüpft: Automatisiertes Fahren soll Staus künftig verringern und die Zeit im Auto besser nutzbar machen. Auch die Zahl der Verkehrstoten dürfte sinken: Etwa 90 Prozent der Verkehrsunfälle gehen derzeit laut einer Studie von McKinsey auf menschliches Versagen zurück.

Das wirtschaftliche Potenzial ist gewaltig: Die Fraunhofer-Institute für Arbeitswirtschaft und Organisation IAO und für Offene Kommunikationssysteme FOKUS errechneten in einer Studie im Auftrag des Bundeswirtschaftsministeriums (BMWi), dass im Bereich Fahrassistenz und hochautomatisiertes Fahren die Wertschöpfung alleine in Deutschland von 2,5 Milliarden Euro im Jahr 2020 auf über acht Milliarden 2025 steigen kann. Dies betrifft 67 000 Beschäftigte in der Automobilindustrie und 65 000 weitere in der Vorleistungskette. Damit nicht genug: McKinsey errechnete im März 2015, dass jede zusätzliche Minute im Auto, in der Menschen ungestört mobil im Internet surfen, weltweit ein Umsatzpotenzial von fünf Milliarden Euro im Jahr bietet. Durch neue Geschäftsmodelle beispielsweise in Entertainment und Werbung könnten noch andere Branchen von der neu gewonnenen Freiheit profitieren.

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IT-Giganten mischen mit

Die vielversprechenden Aussichten locken Autobauer und IT-Riesen gleichermassen. Unternehmen wie Google, Apple, Intel oder Uber forschen intensiv an dem Thema. 2010 stellte Google den Prototyp seines selbstfahrenden Autos der Öffentlichkeit vor. Bis 2015 waren Google-Autos weltweit schon 27 Millionen Kilometer gefahren. Allerdings ist das Gefährt noch etwas für Gemütliche, denn der Hersteller begrenzt die Höchstgeschwindigkeit seiner Prototypen auf 25 Meilen pro Stunde (etwa 40 km/h). Auch nahezu alle deutschen Automobilriesen testen bereits selbstfahrende Autos im Strassenverkehr – sicherheitshalber noch mit Fahrer. So erprobte Daimler im Oktober 2015 in Baden-Württemberg einen autonomen Lkw im öffentlichen Verkehr. Der Future Truck wurde 2014 auf einem gesperrten Teilstück der A14 erstmals der Öffentlichkeit vorgestellt. Er soll mittels Kamera und Radarsensoren ohne Eingriff eines Menschen Abstand halten und Hindernisse umfahren.

Auf der A9 demonstrierte im November vergangenen Jahres das Fraunhofer-Institut für Eingebettete Systeme und Kommunikationstechnik ESK zusammen mit Continental, der Deutschen Telekom AG und Nokia Networks, wie Fahrzeuge über das LTE-Mobilfunknetz mit minimalen Latenzzeiten miteinander kommunizieren. Ein Abschnitt des Telekom-Netzes wurde mit der Mobile-Edge-Computing-Technik von Nokia Networks ausgestattet und um eine von Fraunhofer entwickelte Positionsbestimmung erweitert. Continental entwickelte die Schnittstelle zur Fahrzeugelektronik. Diese Kombination ermöglichte erstmals Signallaufzeiten zwischen zwei Fahrzeugen von weniger als 15 Millisekunden. Die rasante Kommunikation ermöglicht verschiedene Anwendungen, die das Fahren künftig sicherer und komfortabler machen.

Stop-and-go und Spurhalten

Bis Autos ohne Fahrer selbständig steuern, wird es noch etwas dauern. Vorerst wird das hochautomatisierte Fahren an Bedeutung gewinnen. Dabei übernimmt das System Funktionen wie das Spurhalten oder Fahren im Stop-and-go-Verkehr, der Fahrer greift jedoch in kritischen Situationen ein. Experten erwarten, dass in vier Jahren alle deutschen Automobilhersteller hochautomatisierte Fahrfunktionen in Oberklassefahrzeugen als Sonderausstattung anbieten. Denn die wesentlichen Technologien für Auto und Infrastruktur sind bereits heute ganz oder fast serienreif. Auf dem Weg zum vollautomatisierten oder fahrerlosen Fahren jedoch haben die Entwickler noch einige technologische Herausforderungen zu meistern. Laut der Fraunhofer-Studie im Auftrag des BMWi stellt die Fahrzeugsoftware «die bedeutendste Entwicklungsleistung und zugleich die grösste Herausforderung für die Realisierung des hochautomatisierten Fahrens dar». Sie sorgt dafür, dass automatisierte Fahrzeuge in unstrukturierten Umgebungen eigenständig und zuverlässig spezifische Situationen und Muster erfassen. Weiteres Innovationspotenzial besteht in puncto zuverlässige Sensortechnologie und -integration, effizientes Computing, zuverlässige Datenverbindungen, Car2X-Kommunikation sowie Ortung und Aktualisierung von Kartenmaterial. Zudem gilt es, die Interaktion mit Fussgängern und im Mischverkehr zu verbessern. Denn wenn heute Verkehrsregeln nicht greifen, helfen wir uns mit Hupen, Lichthupen und anderen Signalen: Man winkt einen Fussgänger durch oder gewährt einem anderen Auto die Vorfahrt. Doch wie funktioniert die soziale Interaktion, wenn künftig kein Mensch mehr hinterm Steuer sitzt?

Mehr Programmiercode als ein Flugzeug

In den Fokus gerät zudem immer häufiger die Cybersicherheit, denn schon heute enthalten moderne Autos mehr Programmiercode als ein Flugzeug. Der neue Ford GT etwa, der 2017 auf den Markt kommen soll, hat mit 10 Millionen Zeilen Softwarecode drei Millionen mehr als ein Boeing 787 Dreamliner. Was, wenn Unbefugte einzelne Systeme manipulieren, falsche Informationen einspielen oder gar die Kontrolle über das ganze Auto übernehmen? Spektakuläre Hackerangriffe oder auch wissenschaftliche Versuche zeigten in der Vergangenheit, dass es hier noch Forschungsbedarf gibt. Denn die Risiken eines Hackerangriffs wachsen mit der steigenden Komplexität der Fahrzeug-IT. Genauso bedeutend ist überdies das Thema Datenschutz, denn durch die Verarbeitung potenziell personenbezogener Daten im Fahrzeug lassen sich leicht Bewegungsprofile oder Profile des Fahrverhaltens erstellen.

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