Wärmepumpen-Technologie Schweizer Gross-Wärmepumpe versorgt 100 000-Einwohner-Stadt

Von Interview: Jonas Böhm, Auszubildender 3. Lehrjahr Polymech. MAN, BBW Winterthur
Bilder, Realisierung: Matthias Böhm, Chefredaktor SMM

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MAN Energy Solutions hat im Bereich der Wärmepumpen-Technologie einen Meilenstein erreicht. Die MAN ETES-Wärmepumpen-Technologie versorgt ab 2023 die 100 000-Einwohner-­Stadt Esbjerg in Dänemark mit Fernwärme. In dieser Grössenordnung ist das Neuland. Raymond C. Decorvet (globale Geschäftsentwicklung der ETES-Technologie bei MAN) zeigt im SMM-Interview auf, welche Technologien es braucht, um ein solches Grossprojekt zu realisieren.

Die Komponenten eines HOFIM-Kompressors inklusive elektrischen Antrieb, der aufgrund seiner hohen Drücke und extrem hohen Volumenstroms CO2 komprimieren und entsprechend grosse Wärmepumpenleitsungen erzeugen kann auf sehr hohem Temperaturniveau.
Die Komponenten eines HOFIM-Kompressors inklusive elektrischen Antrieb, der aufgrund seiner hohen Drücke und extrem hohen Volumenstroms CO2 komprimieren und entsprechend grosse Wärmepumpenleitsungen erzeugen kann auf sehr hohem Temperaturniveau.
(Bild: Matthias Böhm)

Herr Decorvet, können Sie uns als Erstes einen Gesamtüberblick über das Grossprojekt in Dänemark geben? Über welche Grössenordnung sprechen wir im Rahmen des Projektes, auch bezüglich Leistung und Energieumsatz pro Jahr?

Raymond C. Decorvet: Es handelt sich um ein erstmalig umgesetztes Wärmepumpen-­Grossprojekt, bei dem die 100 000 Einwohner grosse Hafenstadt Esbjerg in Dänemark mit Fernwärme teilweise mittels Wärmepumpentechnologie – entwickelt und produziert in Zürich – versorgt wird. Momentan wird in Esbjerg die Fernwärme durch ein Kohlekraftwerk produziert, welches Ende April 2023 abgeschaltet werden muss. Als Ersatz kommt ein Mix aus verschiedenen Technologien zum Einsatz. MAN bring das ETES-System mit 50 MW in diesen Mix mit. Damit die Leistung des Kohlekraftwerks eins zu eins ersetzt wird, kommt ein Pellet-Boiler mit 60 MW, ein Elektroboiler mit 30 MW und eine Bioöl-, Naturgas- und Biomasseanlage mit jeweils 50 MW zum Einsatz. Allein unsere Wärmepumpe spart im Vergleich zu vorher 106 000 Tonnen CO2 pro Jahr ein. Das entspricht etwa dem CO2-Ausstoss von 20 000 Kompaktklasse-Fahrzeugen im Jahr.

Sie sagten, im April 2023 werde das Kohlekraftwerk abgeschaltet, das hört sich relativ kurzfristig an für so ein Grossobjekt.

Nein, zurzeit läuft alles wie geplant. Wir haben Lieferfristen für die Komponenten, welche eingehalten werden, und mit dem Testen des Systems beginnen wir in der zweiten Hälfte 2022.

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Sie nennen das System MAN ETES Heat Pump System. Für was steht ETES?

ETES heiss «Electro Thermal Energy Storage», also ein thermischer Speicher. ETES ist kein geschützter Name und kann auch von anderen Firmen genutzt werden. Unsere MAN ETES-Technologie ist jedoch einzigartig. Wir erreichen Temperaturen bis zu 150 Grad Celsius und mehr. Aktuell kann kein Anbieter mittels Wärmepumpe, in einem Kompressionsvorgang, eine solche Temperatur fahren, da sind wir weltweit die einzigen.

Können Sie uns anschaulich aufzeigen, welche Leistung die Wärmepumpe in etwa hat?

Mit unserer grössten Wärmepumpe können wir ein olympisches Schwimmbassin, 50 m x 25 m x 2 m, mit einer Anfangstemperatur von 20 °C innerhalb von weniger als vier Stunden zum Kochen bringen. Um es von 20 °C in Eis umzuwandeln, benötigten wir ca. 11 Stunden. Hier ist zu berücksichtigen, dass bei der Umwandlung vom flüssigen in den festen Zustand erheblich mehr Energie abgeführt werden muss.

In der Pressemeldung zu der ETES-Anlage heisst es: «Die Betriebsflexibilität der Wärmepumpenlösung kann sehr kurzfristige, elektrische Ausgleichsleistungen erbringen und somit das Netzgleichgewicht aufrechterhalten.» Wie genau funktioniert das?

Vor allem in den nördlichen Ländern von Europa sind erneuerbare Energien weit verbreitet. Diese produzieren nicht kontinuierlich gleich viel Strom und können nicht immer auf Volllast Energie generieren. Wenn ein Überschuss an Strom da ist, können wir mit unserer Wärmepumpe einen Teil dieser Energie, gesamthaft bis zu 80 Megawatt, mit einer Wärmepum­peneinheit, aus dem Netz in thermische Energie wandeln und so ein Netzgleichgewicht schaffen . Das ist besser, als die Wind- oder Solaranlagen zu drosseln. Ein Pluspunkt ist, dass der Strom preiswerter ist, wenn er überschüssig ist.

Ein Zitat von Patrik Meli, Managing Director von MAN Energy Solutions Schweiz AG , der in der Pressemeldung wie folgt zitiert wird: «Die Sektorkopplung ist ein essenzieller Schlüssel für den Weg in eine klimaneutrale Energiezukunft.» Können Sie die Sektorkopplung genauer erläutern.

Die Sektorkopplung umschreibt die bessere Vernetzung von Energieerzeuger und Energieverbraucher. Unsere Wärmepumpen können sowohl Kälte- als auch Wärmeenergie erzeugen. Mit unserer MAN ETES-­Lösung versorgen wir zum Beispiel ein Fernwärmenetz einer Stadt oder eines Industrie-Komplexes. Die Kälteenergie bleibt dabei ungenutzt. Denkbar ist es aber, dass diese Energie für die Prozessindustrie oder für die Kühlung von Rechenzentren oder Kühlhäuser, Stichwort Hafen und Lagerung von Lebensmitteln, genutzt werden kann. Solche Synergien sind möglich und in unseren Augen wichtig, um eine klimaneutrale Zukunft zu schaffen.

Welche Komponenten werden konkret von MAN für dieses Projekt geliefert und mit welchen Firmen arbeitet MAN zusammen?

Die Turbomaschinen sowie die Prozessgestaltung der CO2-Zyklen reflektieren die Kernkompetenzen von MAN. Wir stellen demzufolge das Herzstück der Wärmepumpe, den HOFIM-Kompressor inkl. Expander, für die Verdichtung und Rückverstromung sowie die schlüsselfertige ETES-Anlage her. Die elektrischen Komponenten werden von ABB beigesteuert.

Gibt es Unterschiede zu einer herkömmlichen Wärmepumpe, wie man sie von Mehrfamilienhäusern beispielsweise kennt?

Bei unserer Wärmepumpe kommt unser HOFIM-Industriekompressor zum Einsatz. Unsere Kompressoren nehmen Leistungen von zwei bis 14 Megawatt auf und sie können bis zu 220 bar Druck aufbauen. Eine herkömmliche Wärmepumpe z.B. für eine EFH schafft eine Heizleistung von gerade mal 14 Kilowatt und erzeugt deutlich weniger Druck. Der hohe Druck von über 200 bar des HOFIM-Kompressors ermöglicht es uns, CO2 als Kältemittel zu verwenden. Ansonsten wäre das nicht möglich. Im Vergleich zu anderen Kältemitteln ist CO2 nicht toxisch und nicht entflammbar. Auch bei der Wärmequelle gibt es Unterschiede. Bei herkömmlichen Wärmepumpen bestimmt der Standort die Wahl der Wärmequelle. Unsere Wärmepumpe eröffnet uns ein grösseres Spektrum an potenziellen Wärmequellen. Wir können zum Beispiel Meere, Seen, Flüsse, Kläranlagen, Abwärme von Industrien und geothermische Energie als Wärmequelle verwenden. Durch diese Diversität tragen wir einen grossen Teil an der Sektorkopplung bei.

MAN baut Hochleitungs-Kompressoren. Musste MAN neue Technologien entwickeln oder sogar Neuland betreten für dieses Projekt?

Ja und nein. In der Vergangenheit haben wir auch schon Expander gebaut. Neu ist, dass der Expander direkt an die Motorachse des HOFIM-Kompressors gekoppelt ist. So kann das expandierende CO2-Gas den Kompressor mitantreiben, vergleichbar mit der Rekuperation bei einem Elektroauto. Durch diese Neuentwicklung erwarten wir 10 bis 15 Prozent Stromersparnisse.

Eine Wärmepumpe benötigt für den Antrieb externe Energie. Mit welcher Energieform wird die ETES Anlage konkret betrieben.

Unser Kompressor braucht Strom. Am sinnvollsten ist es, wenn der Strom aus erneuerbaren Energien gewonnen wird. Natürlich könnte auch ein Dieselaggregat den Strom liefern. Aber da muss ich ganz klar sagen, dass das MANs Idee der Dekarbonisierung nicht entspricht. Unser Ziel ist es, den CO2-Ausstoss zu senken, und das können wir mit unserem MAN ETES, wenn der Strom grün ist.

Wie viel externe Energie wird in das ETES-System im Durchschnitt gesteckt und wie viel Energie wird als Wärmepumpenenergie umgewandelt?

Unser kleinster Kompressor hat eine Leistungsaufnahme von 2 bis 5 Megawatt. In der Wärmeproduktion kann so zwischen 6 bis 15 MW Wärmeenergie generiert werden. Das entspricht einem COP-Wert von drei. Bei der Kälteproduktion ist es etwas weniger, und zwar 4 bis 10 MW. Natürlich hat die Wärmequelle einen grossen Einfluss auf diesen Wert. In Esbjerg ist das Meer unsere Wärmequelle. Im Winter liegt die Meerwassertemperatur bei etwa einem Grad Celsius. Dadurch erreichen wir dort mit der ETES-Anlage in allen Jahreszeiten hohe COP-Werte, die nur dank unserem Hochleistungskompressor und des Einsatzes von CO2 als Kältemittel möglich.

Wie hoch ist die Lebensdauer einer ETES-Anlage?

Wir rechnen mit mehr als 35 Jahren. Die Betriebsbedingungen einer ETES-Anlage sind ideal für unseren HOFIM-Kompressor. Die ganzen Kreisläufe werden gefiltert und gewartet, wobei das Prozessgas CO2 an sich schon sauber ist, zudem ist es ein 100% geschlossener Kreislauf. Wenn man bedenkt, dass unser HOFIM in der Öl- und Gasindustrie zum Einsatz kommt, wo es deutlich rauer zugeht, sind durchaus auch über 50 Jahre Lebensdauer denkbar.

Ist die ETES-Anlage anpassbar an sicher erhöhenden zukünftigen Energiebedarf?

Ja, in der Tat. Bei der Planung schaut man ca. zehn bis 15 Jahre in die Zukunft. Wie gross der Energiebedarf effektiv sein wird, kann niemand genau sagen. Unsere Technologie ist ausbaufähig und kann sich neuen Begebenheiten anpassen. Generell gilt, unseren Anlagen sind modular aufgebaut und können an die jeweiligen Begebenheiten entsprechend angepasst werden.

Wieso sind industrielle Wärmepumpen noch nicht so verbreitet?

Die meisten industriellen Wärmepumpenanlagen sind nicht effizient genug. Sie erreichen zu wenig hohe Temperaturen für Prozesswärme, weil sie andere Kältemittel als CO2 verwenden. Dementsprechend hat sich eine Wärmepumpe für ein Fernwärmenetz in industrieller Grösse bis jetzt weniger rentiert. Unsere Technologie ist einzigartig und ändert das. Es gibt wenige Unternehmen auf der Welt, die CO2 so dicht komprimieren können, wie unsere HOFIM-Kompressoren. Ein weiterer Grund, dass sich solche grossindustriellen Wärmepumpen zukünftig durchsetzen werden, ist, dass die Politik in vielen Ländern den CO2-Ausstoss senken will. In Esbjerg muss das Kohlekraftwerk im Jahr 2023 abgeschaltet werden. Ich bin zuversichtlich, dass Esbjerg ein Ansporn für andere Länder und Konzerne sein wird, auf grossindustrielle Wärmepumpen umzusteigen, sofern die Bedingungen für deren Einsatz gegeben sind.

Für wie lange kann die ETES-Anlage in Esbjerg Energie speichern, wenn der Strom mal knapp wird?

Grundsätzlich wandeln wir elektrische Primär-Energie in thermische Sekundär-Energie um. Die Grösse des Wärme- und Kältespeichers bestimmt, wie viel Strom gespeichert werden kann. Wobei die aktuelle Anlage in Esbjerg nur auf die Produktion respektive Umwandlung in Wärmeenergie ausgelegt ist, die dann als Fernwärme genutzt wird. Der Prozess ist in dieser Anwendung in Esbjerg nicht umkehrbar.

Das heisst, generell liesse sich aber auch Strom produzieren?

Ja, mit der MAN ETES-Lösung ist es auch möglich, Strom zu speichern und Strom mittels Turbine und Generator zurückzugewinnen, bei einem Wirkungsgrad von 50 Prozent. Das System läuft in der entgegengesetzten Richtung als bei der Wärme- und Kälte-Erzeugung. Das CO2 wird mittels des Kälte- und Wärme-Speichers in einen superkritischen Zustand gebracht und so über eine Turbine geführt, welche einen Strom-Generator antreibt, welcher der Elektrizität erzeugt. Wir erhoffen uns, in Zukunft Werte von 65 Prozent zu erreichen.

Ist die Anlage redundant bei Stromausfällen oder einem Defekt der Anlage?

Die Anlage bei Esbjerg ist insofern redundant, weil zwei Kompressoren verbaut sind. Wenn der Strom ausfällt, sind uns die Hände gebunden. Ein Kreislaufdefekt oder ein ausgefallener Kompressor bringt die Wärmeproduktion dagegen nicht zum völligen Erliegen, aber wir können nicht mehr die volle Leistung abrufen. Entsprechend entscheidend ist es, dass unsere Systeme über eine extrem hohe Prozesssicherheit verfügen.

Der Energiebedarf ist im Winter sicherlich höher als im Sommer. Wie meistert die ETES-Anlage diesen Spagat?

Generell ist die Anlage so ausgelegt, dass sie im Winter genügend hohe Wärmeleistung generieren kann. Somit wird der Kompressor im Sommer weniger stark beansprucht als im Winter.

Wie viel Swissness steckt im ETES?

Das System kommt zu 100 Prozent aus der Schweiz. Ursprünglich hatte das ABB Forschungszentrum in Dättwil nach Lösungen gesucht, wie man Strom aus Abwärme speichern kann. Herausgestellt hat sich, dass CO2 ein hervorragendes Kältemittel (Prozessmittel) für diese Anwendung ist. ABB ist dann auf die MAN zugekommen, weil sie einen Kompressor brauchten. Zusammen hat man die Idee weiterentwickelt. ABB hat sich entschieden, das Projekt nicht mehr weiter zu verfolgen, weil sie mehr auf Strom spezialisiert sind und weniger auf thermodynamische Prozesse. Wir entwickeln es konsequent weiter, was zu 100 Prozent am Standort Zürich passiert. Wir haben die Ursprungsidee, aus einem Kälte- und Wärmespeicher Energie zu erzeugen, praktisch den Nutzen umgekehrt und eine Hochleistungswärmepumpe entwickelt. Aber wie weiter oben beschrieben, ist unser System auch in der Lage, aus einem Wärmespeicher mit einem relativ geringem Temperaturgradienten, dank CO2 als Kältemittel, zu einem relativ hohen Wirkungsgrad von 50 Prozent die Wärme in Strom zu wandeln.

Zuletzt der Unterwasser-Subsea-Kompressor, jetzt MAN ETES, was kommt morgen?

Wir sind davon überzeugt, dass Stromspeicher-Lösungen, basierend auf unserer ETES-Technologie, in naher Zukunft an Wichtigkeit gewinnen werden. MAN ETES dürfte sich demzufolge zu einem Volumengeschäft entwickeln. Wir werden unsere Technologie entsprechend weiterentwickeln: Die Standardisierung und auch die Modularisierung von ETES muss dabei vorangetrieben werden. Ein weiteres Zukunftsthema ist die Digitalisierung. Mit dem HOFIM Kompressor sind wir momentan an einem Projekt beteiligt, das versucht, vollständig unbemannte Gasplattformen zu verwirklichen. SMM

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