Interview mit Bruno Huber, Geschäftsführer Festo Schweiz «Die Wichtigkeit der MEM-Industrie wurde von der Politik unterschätzt.»

Autor Silvano Böni

Wenn es um die elektrische und insbesondere pneumatische Antriebs- und Steuerungstechnik geht, gehört Festo weltweit zu den ersten Ansprechpartnern. Grund genug, uns mit Bruno Huber, dem Geschäftsführer der Schweizer Niederlassung, über den hiesigen Werkplatz und den Technologiewandel zu unterhalten.

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Auch das ist Festo: Das pneumatische Exoskelett lässt sich wie ein Handschuh anziehen, stützt die menschliche Hand von aus­sen und verbessert so ihre Stärke und Ausdauer.
Auch das ist Festo: Das pneumatische Exoskelett lässt sich wie ein Handschuh anziehen, stützt die menschliche Hand von aus­sen und verbessert so ihre Stärke und Ausdauer.
(Bild: Festo)

SMM: Festo liefert seine Komponenten in nahezu alle Branchen. Anhand dessen wissen Sie natürlich auch, wie es um diese steht. Wo läuft das Geschäft denn gerade rund?

Bruno Huber: Sehr positiv nehmen wir die Branchen Electronic & Light Assembly, aber auch die Werkzeugmaschinen, Automobilzulieferer und die MedLab-Branche wahr. Dies ist dem Umstand geschuldet, dass diese Branchen mehrheitlich direkt in Verbindung mit dem privaten Konsumverhalten stehen. So sind Werkzeugmaschinen, Anlagen
zur Herstellung von Elektronikerzeugnissen wie
Halbleiter, aber auch Montageanlagen wichtige Produktions­ressourcen zur Erhöhung von Kapazitäten beziehungsweise Herstellung von Produkt­innovationen.

Und welche Branchen stottern momentan ein wenig?

B. Huber: Bio/Pharma, die Chemiebranche, die Druckindustrie oder die Lebensmittelindustrie entwickelten sich eher unauffällig respektive zurückhaltend. Die Gründe hierfür sind sehr unterschiedlich. Die Nachfrage nach Lebensmitteln orientiert sich mehr am Bevölkerungswachstum als an der Intensität des privaten Konsums und wächst daher stetig, aber auf tieferem Niveau. Bei der Druck­industrie handelt es sich eher um ein strukturelles Thema. Gedruckte Medien stehen in sehr hartem Wettbewerb mit der Digitalisierung, welche, sei es im Zeitungsdruck oder Buchdruck, stets an Bedeutung gewinnt.

Gerade die Pharma- und die Chemiebranche galten lange als Wachstumstreiber. Wo sehen Sie die Gründe für das verhaltene
Wachstum?

B. Huber: Aus der Sicht der Schweizer Zuliefer­industrie handelt es sich bei diesen Branchen um ein klassisches Projektgeschäft. Und da 2017 kaum Grossprojekte auf Schweizer Boden in der Realisierungsphase waren, wirkte sich dies auch in Form von geringerer Nachfrage nach Automatisierungskomponenten auf die Anbieter von Automatisierungstechnik aus.

Der Werkplatz Schweiz stand durch den starken Franken lange unter Druck. Wie sehen Sie die Situation momentan?

B. Huber: Mit einem Wechselkurs zwischen 1,15 und 1,17 ist der Schweizer Franken immer noch überbewertet. Aber natürlich hilft der stärkere Euro unseren Kunden, und somit auch uns, im Wettbewerb gegen die europäische Konkurrenz. Nebst dem Wechselkurs unterstützt auch die höhere Inflation im Euroland gegenüber der Schweiz bei der Reduktion der Preisdifferenz.

Welche Stärken hat denn der Werkplatz Schweiz gegenüber unseren Nachbarländern?

B. Huber: Ich glaube fest, dass wir durch das duale Bildungssystem auf praxisnahe technische Fachkräfte zählen können und dies zu mehr pragmatischen, aber guten Lösungen führt. Aber auch eine stabile politische Situation und ein hohes Mass an Arbeitsfrieden ermöglicht es den Schweizern, sich aufs Wesentliche zu konzentrieren. Und letztlich ist es ein Teil unserer DNA geworden, dass wir uns nur mit den besten und cleversten Lösungen über Wasser halten können.

Und wie sieht es mit den Schwächen aus?

B. Huber: Ich hatte in der Vergangenheit oft den Eindruck, dass die Wichtigkeit der MEM-Industrie, insbesondere in der Politik, schlicht unterschätzt wurde. Dies führte dazu, dass die MEM-Branche bei der Gestaltung von Rahmenbedingungen nicht genug im Fokus war. Auf Mega-Trends wie die Digitalisierung oder Industrie 4.0 würde ich mir des Weiteren eine schnellere, besser organisierte und von der Politik gestützte Reaktion aller Akteure wünschen.

Festo hat mit dem Bionic Learning Network einen Forschungsverbund ins Leben gerufen, welcher durch natürliche Prinzipien neue Impulse für die Fabrik- und Prozessautomatisierung liefern soll. Was für Resultate ausser Möwen, Schmetterlingen und sonstigem Getier sind daraus bereits entstanden?

B. Huber: Primär geht es beim Bionic Learning Network darum, von der Natur zu lernen und zu versuchen, bionische Prozesse in Automatisierungs­lösungen zu übersetzen. Daraus können manchmal direkt Produkte abgeleitet werden, ich denke hier an unseren Fin-Gripper, welcher einer Haifischflosse nachgeahmt wurde. Viel häufiger liegt der Nutzen aber im Verstehen von Grundlagen, zum Beispiel wie die Libelle vier Flügel autonom steuert oder wie Ameisen miteinander kommunizieren, welche in komplett anders gelagerten Projekten/Produkten verwertet werden können.

Eine halbe Stunde von Lupfig entfernt ist die Eichenberger Gewinde AG, welche von Festo vor gut zwei Jahren übernommen wurde. Bekommen Sie davon überhaupt was mit, dass die «Nachbarn» ebenfalls zur Festo-Gruppe gehören?

B. Huber: Als Verwaltungsrat von Eichenberger bekomme ich es natürlich persönlich sehr intensiv mit. Aber Eichenberger ist für Festo auch sonst ein wichtiger Produktions- und Entwicklungsstandort, welcher mit Spindeln und Kugelgewindetrieben eine wichtige Vorwärtsintegration für elektromechanische Antriebe beisteuert. Ich nehme Eichenberger mit seiner grossen Innovationskraft und hohen Kompetenz als grosse Bereicherung für die Festo-­Gruppe wahr.

Sie bieten auch massgeschneiderte Kundenlösungen an. Wie oft wird dieser Service im Vergleich zu Standardlösungen genutzt?

B. Huber: Wir realisieren bei Festo Schweiz etwa einen Viertel des Umsatzes mit sogenannten Customized Solutions. Diese umfassen das gesamte Spektrum, angefangen bei Vormontagen über Subsysteme bis zu kompletten Sonderentwicklungen. Ich erkenne grundsätzlich zwei Trends: Zum einen wollen unsere Kunden möglichst viele Standardkomponenten einsetzen, aber zum anderen so wenig interne Wertschöpfung wie möglich für nicht Kernkompetenzen leisten. Unter dem Strich kann ich sagen, dass der CS-Anteil seit Jahren sehr stabil ist.

Industrie 4.0 ist das Trendthema seit Jahren. Sie bieten mit Festo Didactic zahlreiche Ausbildungen und Qualifikationen zu diesem Thema an. Wie ist das Fazit? Ist Industrie 4.0 bei den Leuten definitiv angekommen?

B. Huber: Meine Wahrnehmung ist, dass der Technologiewandel in Form von Digitalisierung und Industrie 4.0, nach einer entsprechenden Lern- und Verarbeitungsphase, durchaus angekommen ist. Auch glaube ich, dass die Unternehmen Vor- und Nachteile sehr differenziert für sich identifizieren können. Vielen Marktteilnehmern fällt es jedoch immer noch schwer, konkrete Handlungsfelder für sich abzuleiten und mit entsprechenden Aktivitäten zeitnah anzugehen. Das kann dann zu einer abwartenden bis passiven Haltung führen, was erhebliches Gefahrenpotenzial in sich bergen kann.

Was könnte man tun, um diese Haltung zu ändern?

B. Huber: In erster Linie darf man den Kopf nicht in den Sand stecken und hoffen, dass der Kelch, also die Digitalisierung, an einem vorübergeht. Man muss den Digitalisierungstrend und als Konsequenz Industrie 4.0 als Herausforderung und Chance akzeptieren. Dann gilt es für sein individuelles Business zu analysieren, wo Berührungspunkte zur Digitalisierung / Industrie 4.0 bestehen, welche potenziellen Konsequenzen zu erwarten sind, welche Chancen/Risiken sich daraus ergeben und welche Handlungsalternativen zur Minimierung der Risiken und Nutzung der Digitalisierung sich als Chance ableiten lassen. So einfach und akademisch sich dies auch anhört, ist es natürlich nicht. Veränderung verlangt nach Veränderung, mit allen Vor- und Nachteilen. Aber nichts tun ist mit Sicherheit die schlechteste Alternative.

Nebst dem Megatrend von Industrie 4.0, welche Trends sieht Festo in den nächsten Jahren noch?

B. Huber: Der Megatrend Digitalisierung wird uns sowohl technologisch, aber auch gesellschaftspolitisch (Ausbildung, strukturelle Verschiebung von Anforderungsprofilen) noch lange beschäftigen. Auch der Globalisierungstrend ist bei Weitem noch nicht am Ende. Insbesondere wird es eine Herausforderung werden, die Bedürfnisse der Generationen Y/Z mit dem zunehmend globalen Footprint des Mitarbeiternetzwerks in Einklang zu bringen. SMM

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