Erfolgreiche Auswahl eines MES-Systems

Autor / Redakteur: Herbert Parnreiter, Geschäftsführer bei Industrie Informatik / Luca Meister |

>> In einem Industrieunternehmen ist ein modernes Manufacturing Execution System (MES) fast unumgänglich, um in der Feinplanung die Qualität kontinuierlich zu verbessern. Aber nach welchen Kriterien soll unter den vielen Anbietern und Lösungen das richtige MES gefunden werden? Der im Folgenden skizzierte Ansatz für eine erfolgreiche Auswahl basiert auf einem mehrstufigen Vorgehen und liegt zwischen den tausend Kriterien umfangreicher Fragenkataloge sowie der persönlichen Einschätzung des Autors.

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Spannungsfeld: Je individueller das System wird, desto schwieriger wird der Releasewechsel. (Grafik: Industrie Informatik)
Spannungsfeld: Je individueller das System wird, desto schwieriger wird der Releasewechsel. (Grafik: Industrie Informatik)

Ein ERP-System bildet das (Daten-)Fundament eines Industrieunternehmens. Doch im situativen Tagesgeschäft der Produktion – also in der Feinplanung – ist ein solches System fast immer überfordert. Durch vollständige und korrekte Ist-Daten erhöht ein MES-System die Planungsqualität. Der Prozess der Systemauswahl kann in drei Punkte aufgeteilt werden.

1. Vorbereitung / Grobdefinition

Zu Beginn geht es um die Definition von Zielen, Muss-Kriterien bzw. Ausschliesslichkeiten und um das Erheben realistischer Kostenrahmen. Bewährt haben sich Ansätze, Ziele in unmittelbar monetär wirksame und indirekt wirksame zu teilen; dies erleichtert auch die Amortisation der MES-Einführung. Monetäre Ziele sind z.B. die Reduktion der Rüstzeiten und die Senkung des Work-in-Progress durch Verkürzung der Durchlaufzeiten. Indirekt wirken z.B. die Verbesserung der Marktchancen durch kürzere Lieferzeiten und Fehlervermeidung.

1.a) Festlegen von Ausschliesslichkeiten

Unnötiger Evaluierungsaufwand sollte tunlichst vermieden, dafür aber jene Punkte vorab und klar definiert werden, die für die unterschiedlichen Unternehmensbereiche Muss- oder K.-o.-Kriterien darstellen. Folgende Fragen sollten gestellt werden:

  • An Geschäftsführung: Gibt es Unternehmen, die prinzipiell ausscheiden, wie zum Beispiel outgesourcte IT-Unternehmen eines Mitbewerbers?
  • An IT-Abteilung: Gibt es Betriebssysteme, Datenbanken und Technologien, die grundsätzlich nicht in Frage kommen?
  • An Einkauf und die Fachabteilung: Sind Grösse, Alter und geografische Entfernung des Anbieters K.-o.-Kriterien?

1.b) Ermitteln eines Kostenrahmens

Man sollte sich schnellstens einen Überblick über die Leistungsfähigkeit moderner MES-Lösungen verschaffen, einerseits um nichts Unrealistisches zu verlangen, andererseits um bisher verborgene Potenziale zu erkennen. Wesentliche Funktionalitäten sind hier abzugrenzen, ohne auf Details einzugehen. Ernsthafte Anbieter werden darauf hinweisen, dass erfahrungsgemäss in einer Feinspezifikation Zusatzanforderungen auftreten, die Zusatzkosten bedingen. Auch Schulungsaufwände werden unterschiedlich kalkuliert, meist am unteren Limit. Für das Budget sollten mindestens 25 Prozent Reserve eingeplant werden.

2. Vorauswahl der Anbieter

Da am Ende der zweiten Phase möglichst nur ein präferierter Projektpartner übrig bleiben sollte, ist hier eine detaillierte Prüfung von Produkt und Partner angebracht. Die Evaluierung des am besten geeigneten Produktes soll zwei Teile umfassen: Die Erfüllung der erforderlichen Funktionalität ist dabei ein wichtiger Bestandteil. Andererseits ist die Funktionalität bei den führenden MES-Anbietern ähnlich hoch, es gilt also schon, die betrieblichen Spezifika entsprechend abzuprüfen.

So ergab eine Untersuchung, dass zum Kaufzeitpunkt die Funktionalität zu rund 80 Prozent im Vordergrund stand, die Strategie – bestehend aus Beurteilung von Lieferant und Technologie – nur eine untergeordnete Rolle spielte; nach drei Jahren Einsatzdauer hielt sich beides die Waage und bereits nach vier Jahren überwogen eindeutig die strategischen Faktoren. Releasefähigkeit und Betriebssystem-Kompatibilität nach fünf Jahren sind wichtiger als ein marginaler Unterschied beim Funktionsumfang. Folgende strategische Faktoren sollten auf jeden Fall beachtet und gewichtet werden: die Einhaltung weltweiter IT-Standards, die Integrationsfähigkeit und vorhandene Schnittstellen in die bestehende ERP-Welt sowie die Individualisierung und Releasefähigkeit des Systems.

Neben Referenzkunden des potenziellen Softwarelieferanten als Informationsquelle gibt es auch einige Hardfacts wie etwa die finanzielle Solidität des Anbieters, die sich relativ leicht feststellen lassen. Trotzdem ist es erstaunlich, wie viele Unternehmen hochverschuldete Lieferanten mit strategischen IT-Projekten beauftragen und dann Schiffbruch erleiden. Folgende Fragen an den neuen Partner können helfen, diese unangenehme Situation zu vermeiden:

  • Wo wird das Unternehmen in drei Jahren stehen?
  • Wie lange sind mögliche Projektbetreuer schon im Unternehmen?
  • Wie ist die durchschnittliche Betriebszugehörigkeit der Mitarbeiter?
  • Welchen Anteil am Jahresumsatz hätte das Projekt?
  • Ist der Partner Hersteller der Lösung oder Vertriebspartner?

3. Endauswahl

In einem dritten Schritt können Einblicke in die Programmdokumentation und das Pflichtenheft eines ähnlichen Projektes der Anbieter aufschlussreich sein. Weiter sollte auch das mögliche Projektteam – inklusive Referenzen – vom MES-Anbieter vorgestellt werden. Vor den nächsten Schritten sollte die Entscheidung für einen Partner getroffen worden sein. Es folgt nun die gemeinsame, kostenpflichtige Erstellung eines Pflichtenheftes. Parallel dazu oder als nächster Schritt kann eine Pilotinstallation durchgeführt werden, um das Gesamtsystem räumlich und zeitlich begrenzt zu testen. Bei unerwarteten Problemen sollte hier ein Ausstieg aus dem Projekt noch möglich sein. <<

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