Automationszelle Lademagazin flexibel für Einzelstücke

Von Konrad Mücke

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Beim Fahrwerkshersteller KW Automotive ist unter Federführung von Spinner Automation eine flexible Automationszelle zum Vorbearbeiten von Stossdämpferrohren entstanden. Integriert ist eine Kombination aus einem modifizierten Lademagazin turbo 5-65 von FMB und einem Roboter.

Das modifizierte Lademagazin turbo 5-65 von FMB in der automatisierten Produktionszelle handelt flexibel, ohne Rüstarbeiten, Rohre unterschiedlicher Durchmesser und Längen, die ein Roboter auflegt.
Das modifizierte Lademagazin turbo 5-65 von FMB in der automatisierten Produktionszelle handelt flexibel, ohne Rüstarbeiten, Rohre unterschiedlicher Durchmesser und Längen, die ein Roboter auflegt.
(Bild: Konrad Mücke)

KW-Automotive im schwäbischen Fichtenberg produziert mit inzwischen 350 Fachkräften hochwertige Stossdämpfer-Feder-Kombinationen für den freien Nachrüstmarkt und den Kundensport unterschiedlicher Automobilhersteller. Die als Gewindefahrwerke bekannten Komponenten werden vor allem von Automobilenthusiasten in Kompaktmodelle, gehobene Mittelklassemodelle und Sportwagen nachgerüstet. Die Gewindefahrwerke verbessern deutlich die Fahreigenschaften auf unterschiedlich beschaffenen Fahrbahnen und Untergründen. Im Vergleich zu herkömmlichen Serienfahrwerken können die Nachrüstfahrwerke in ihren dämpfenden und federnden Eigenschaften manuell eingestellt werden. Sofern vorhanden, können die Dämpfungseigenschaften über Tasten und die im Serienfahrzeug eingebaute Bordelektronik direkt im Cockpit straffer oder komfortabler abgestimmt werden. In einigen limitierten Sondermodellen der Automobilindustrie werden die in Fichtenberg entwickelten und produzierten Fahrwerke sogar ab Werk eingebaut.

Bodenhaftung bei jeder Geschwindigkeit
Im Fokus

Die heutige KW Automotive GmbH geht auf ein kleines Einzelhandelsunternehmen zurück. Dies eröffnete Klaus Wohlfarth im Jahr 1992 mit viel Enthusiasmus und wenig Erfahrung in seinem schwäbischen Heimatort Murrhardt. Er nannte es KW Tuning. Er bot zunächst allein, später mit seinem Bruder Jürgen Wohlfarth, erfolgreich Autozubehörteile und Caraudio-Produkte in der Region an. Gerade mal 75 Quadratmeter gross ist der erste Laden in einem baufälligen Gebäude, das nach und nach um eine Garage erweitert wurde. Aus Frust über die Qualität der am Markt befindlichen Produkte und vor allem der fehlenden, aber zugesagten Funktionen der angebotenen Lösungen, entschied sich Klaus Wohlfarth 1995 ein eigenes System für ein in der Höhe einstellbares Fahrwerk mithilfe eines Freunds zu fertigen.

Heute werden die Gewindefahrwerke und Fahrwerke aus Fichtenberg von einer Vielzahl an Automobilenthusiasten hoch geschätzt. Sie dienen dazu, das Fahrverhalten eines Fahrzeugs deutlich zu verbessern. Insbesondere tragen sie dazu bei, dass die Reifen unabhängig von der Geschwindigkeit des Fahrzeugs und der Beschaffenheit des befahrenen Untergrunds möglichst immer am Boden bleiben. Je nach Fahrwerk können die fahrdynamischen Parameter manuell, per Smartphone-App oder über Taster im Cockpit eingestellt werden. Gewindefahrwerke stehen für über 2350 Fahrzeuganwendungen zur Verfügung. Neben Automobilenthusiasten, Tunern und Veredlern nutzen auch mehrere Automobilhersteller die Gewindefahrwerke aus Fichtenberg, unter anderem für den Kundensport in unterschiedlichen Rennsport-Formaten. Auch als Option verfügbare Zubehörfahrwerke der Automobilhersteller in München, Köln oder Ingolstadt stammen aus Fichtenberg. Inzwischen tritt der Fichtenberger Fahrwerkhersteller in aller Welt mit sechs unterschiedlichen Marken auf. Diese stehen jeweils für marktspezifisch bevorzugte Produkte hinsichtlich technischer und wirtschaftlicher Aspekte. Ein jüngst gegründeter Unternehmensbereich befasst sich mit virtuellem Rennsport, also Simracing-Motorsport-Simulationen, für die sich speziell in Asien sehr viele junge Menschen begeistern.

Weitere Informationen:
kwsuspensions.de

Grosse Fertigungstiefe

Wie Christian Schmidt, PR-Manager in Fichtenberg, berichtet, erfordert die Fertigung eines individuell einstellbaren Fahrwerks eine Vielzahl unterschiedlicher Bauteile. Einige Fahrwerke bestehen aus über 400 Einzelteilen. In der auftragsbezogenen Produktion sind bis zu 85 Montageschritte erforderlich. Dazu sagt Martin Wagner, Teamleiter Vorrichtungsbau: «Wir haben das System Gewindefahrwerk weitgehend modular ausgeführt. Allein durch Auswählen und Kombinieren geeigneter Module können wir eine grosse Vielfalt an Fahrwerken verwirklichen. Dennoch gibt es bei jeder Stossdämpfer-Federbein-Kombination einige fahrzeugspezifische Bauteile. Zudem bekommen wir immer wieder Anfragen nach Fahrwerken für weitere, bisher in unserem Produktionsprogramm noch nicht berücksichtigte Automobile. Dabei geht es häufig um Sonderausführungen. Das betrifft Rennsportwagen, Einsatzfahrzeuge, beispielsweise gepanzerte Fahrzeuge, aber auch sogenannte Oldtimer-Automobile. Auf dieser individuellen Abstimmung gründet unser sehr erfolgreiches Geschäftskonzept.» In den zurückliegenden knapp 25 Jahren sind so insgesamt über 28 000 Fahrwerkanwendungen entstanden.

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Um flexibel und innerhalb kurzer Durchlaufzeiten die dafür benötigte Vielfalt an Bauteilen zu fertigen, verfügt der Fahrwerkshersteller in Fichtenberg über eine sehr grosse Fertigungstiefe. Wie Christian Schmidt erläutert, verwirklicht das Unternehmen sämtliche Produktionsschritte von den Rohlingen – Edelstahlrohre und Gussteile – bis zum einbaufertig montierten und geprüften Fahrwerk selbst in den inzwischen 6000 m² umfassenden Fertigungs- und Montagehallen.

Höchste Flexibilität gefordert

«Unsere auf Fahrzeuge und Fahrverhalten individuell abgestimmten Fahrwerke erfordern, dass unsere Fertigung äusserst flexibel arbeiten muss. Von jedem Gewindefahrwerk erstellen wir jeweils nur Einzelstücke oder kleinste Serien, durchschnittlich etwa 10 bis 1000 Exemplare jährlich. Deshalb haben wir keine fertigen Produkte in grösserer Anzahl lagerhaltig. Wir fertigen im Tagesgeschäft stets auf Abruf. Von den 400 täglich gefertigten Fahrwerken sind etwa 85 Prozent jeweils Einzelstücke. Anders ausgedrückt, wir fertigen pro Tag fast 350 unterschiedliche Gewindefahrwerke», führt Christian Schmidt aus. Diese Flexibilität an einem kostenintensiven Produktionsstandort wie Deutschland zu bewältigen, stellt besondere Forderungen an die Fertigung. Das betrifft auch die Vorbearbeitung der Edelstahlrohre für die Stossdämpfer. Davon gibt es insgesamt etwa 5000 Varianten. 3000 mm lange Rohlinge unterschiedlicher Durchmesser müssen jeweils individuell auf die Länge der Stossdämpferrohre – zwischen 80 und 600 mm – abgelängt werden. Es müssen Fasen angearbeitet, Innengewinde mit 29 bis 50 mm Durchmesser sowie einige Nuten und Querbohrungen gefertigt werden. In einem Auftragslos sind jeweils nur 1 bis 40 gleiche Bauteile zu bearbeiten. Damit dies wirtschaftlich gelingt, soll die Bearbeitung weitgehend automatisiert ablaufen.

Flexibel automatisierte Drehzelle

In enger Zusammenarbeit haben Spezialisten unter Federführung der Spinner Automation zusammen mit der FMB Maschinenbau deshalb bei der Rohrbearbeitung das Zuführen der Halbzeuge (Edelstahlrohre) und die Entnahme von Reststücken vollständig, aber höchst flexibel automatisiert. Verwirklicht ist dies mit einer geschickten Kombination aus einem vertikalen Rohrlager von Spinner Automation, einem Roboter (Fanuc) und einem Stangenlader von FMB. Dazu sagt Stephen Ackermann, Technischer Leiter bei FMB: «Unseren Stangenlader turbo 5-65 haben wir so modifiziert, dass er im Wechsel ohne Rüstarbeiten Rohre mit 29 bis 50 mm Durchmesser vorschieben und auch wieder zurückziehen kann.» Damit dies gelingt, werden die Rohrenden lediglich mit einer Schnittstelle versehen, an der die Spannhülse der Vorschubstange im Stangenlader angreift. Die so ausgerüsteten Rohre legen die Fachkräfte ausserhalb der umhausten Automationszelle in das vertikale Rohrlager. Dort befinden sich Rohre acht unterschiedlicher Durchmesser in separaten Lagerplätzen. An einem Terminal mit Touchscreen von Spinner Automation gibt das Fachpersonal ein, an welchem Lagerplatz sich die Rohre unterschiedlicher Durchmesser befinden. Ein Roboter (Fanuc) in der von Spinner Automation konzipierten und verwirklichten Automationszelle entnimmt jeweils ein zu dem anstehenden Fertigungsauftrag passendes Rohr. Er legt es in das Lademagazin. Dort sind auch bei wechselnden Rohrdurchmessern und -längen keinerlei Rüst­arbeiten erforderlich. «Um höchste Flexibilität für Einzelstücke zu verwirklichen, haben wir die Steuerung des Stangenladers über Datenschnittstellen (ProfiNET) mit der Drehmaschine und der Produktionssteuerung verbunden. Der Stangenlader erhält jeweils die Informationen über den Rohrdurchmesser. Die exakte Länge des eingelegten Rohrs wird im Lademagazin gemessen», berichtet Stephen Ackermann. Heribert Gertung, bei FMB zuständig für technische Beratung und Vertrieb, ergänzt: «Der Kanal im Lademagazin ist so konfiguriert, dass er alle zu verarbeitenden Rohrdurchmesser aufnehmen und führen kann. Dank der Einlagen im Kanal aus hochwertigen Kunststoffen arbeitet das Lademagazin trocken. So bleiben die Rohre sauber und frei von Öl. Nach dem Ablegen eines Rohrs auf der Vereinzelung schiebt der Roboter es gegen einen Festanschlag. So wird es von der Vorschubstange zuverlässig an der Schnittstelle gegriffen und zentriert vorgeschoben. Die stabile Bauweise des Laders, er ruht auf einem Maschinenbett aus Grauguss, vermeidet Vibrationen. Das trägt wesentlich dazu bei, dass die Drehmaschine die Rohrenden prozesssicher hochgenau bearbeitet.»

Nach dem Trennen und Bearbeiten der programmierten Rohrabschnitte zieht der Stangenlader den Restabschnitt des Rohrs wieder zurück. Das Lademagazin misst die Länge dieses Rohrabschnitts. Abhängig davon entscheidet die von Spinner Automation entwickelte Produktionssteuerung, ob daraus noch ein weiteres Bauteil gefertigt werden kann. Ist der Restabschnitt ausreichend lang, um noch ein weiteres Stossdämpferrohr bearbeiten zu können (einschliesslich der zum Spannen benötigten Überlänge), kann der Roboter ihn zurück in das entsprechende Lagerfach des Rohrlagers transportieren. Dazu zieht der Stangenlader den Rohrabschnitt auf eine Position, von der ihn der Roboter nach dem Ausheben exakt mittig und somit balanciert greifen kann. Weniger als 500 mm lange Abschnitte sortiert das Lademagazin automatisch selbst aus. Andere, nicht weiter zum Bearbeiten geeignete Restabschnitte transportiert der Roboter in einen separaten Behälter. «Somit können wir die kostenintensiven Edelstahlrohre optimal nutzen. Zudem arbeitet die Anlage dank des universellen, flexiblen Stangenladers vollkommen automatisch. Das gilt auch für das Fertigen von Einzelstücken, also Losgrösse 1. Die Maschinenbediener sorgen lediglich für ein stets gefülltes Rohrlager und überwachen den Drehprozess», beschreibt Martin Wagner die Vorteile der automatisierten Produktionszelle.

Datenkommunikation entscheidend

Wie Stephen Ackermann betont, erfordert diese äusserst flexible Automation vor allem eine ausgeklügelte Software und eine geschickte Datenkommunikation zwischen den Automatisierungskomponenten der Drehzelle. «Unserer Steuerung Ergologic ist zum einen einfach und intuitiv zu bedienen. Zum anderen können wir mit ihr optimal eine komplexe Datenübertragung und -integration realisieren. Mechanisch sind am Lademagazin nur wenige Anpassungen erforderlich. Beispielsweise haben wir die obere Abdeckung des Lademagazins so konfiguriert, dass der Roboter ungehindert bis 3000 mm lange Rohre kollisionsfrei einlegen und entnehmen kann. Den Stangenvorschub haben wir im Unterschied zur Standardausführung einstufig ausgeführt. Auch die Überwachung zur Sicherheit des Personals und zum Verriegeln einzelner, nacheinander folgender Funktionen des Lademagazins, des Roboters und des Drehzentrums haben wir exakt aufeinander abgestimmt», führt Stephen Ackermann aus.

Zuverlässig und produktiv

Seit etwa einem Jahr produziert die vollständig automatisierte Anlage in Fichtenberg Rohre für die Schwingungsdämpfer. Wie Martin Wagner und Christian Schmidt betonen, arbeitet sie zuverlässig bei höchster Verfügbarkeit. Wegen ihrer hohen Flexibilität kann KW Automotive bedienerarm auf nur einer Anlage alle Varianten der benötigten Fahrwerke komplett vorbearbeiten. Zudem verwirklicht die Anlage bei dreischichtigem Betrieb eine ausreichende Produktivität, um Stossdämpferrohre in den benötigten Mengen zu fertigen. Dank der Flexibilität zum Bearbeiten von Einzelstücken trägt die vollständig automatisierte Drehzelle wesentlich dazu bei, dass der Hersteller kunden- und fahrzeugspezifisch konzipierte und optimierte Gewindefahrwerke kurzfristig produzieren und liefern kann. SMM

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