Peter Breitenmoser (CEO, Schmobi AG) zur Zukunft des Stahlhandels Wie entwickelt sich die Lieferfähigkeit von Stahl?

Von Interview: Matthias Böhm, Chefredaktor SMM |

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Stahl gehört wie Gas und Öl zu den wichtigsten industriellen «Rohstoffen». Warum es entscheidend ist, Stahl nicht nur vor Ort, sondern auch in politisch und wirtschaftlich stabilen Regionen zu beziehen, wird im Interview mit Peter Breitenmoser (Schmolz + Bickenbach Stahlcenter AG – Schmobi) deutlich. Die auf Qualitäts- und Hochleistungsstähle fokussierte Schmobi gehört zu den bedeutendsten Stahlhändlern der Schweiz.

P. Breitenmoser mit M. Böhm vor dem vollautomatischen Sägecenter mit moderner Hochregallagertechnik und neuster Sägetechnologie.
P. Breitenmoser mit M. Böhm vor dem vollautomatischen Sägecenter mit moderner Hochregallagertechnik und neuster Sägetechnologie.
(Bild: Thomas Entzeroth)

SMM: Wie es am Werkplatz Schweiz läuft, zeigt auch ein Blick auf Ihren Stahlhandel. Können Sie etwas zu den Tonnagen sagen, die über die letzten 20 Jahre pro Jahr gehandelt wurden und wie sie sich im Lauf der Zeit geändert haben?

Peter Breitenmoser: Wir haben uns in den letzten beiden Jahrzehnten kontinuierlich weiterentwickelt und stets im Bereich bis zu 20 000 Tonnen bewegt. Die Finanz- und Eurokrise haben wir gespürt, ebenso die Corona-Krise, hier speziell in der gehandelten Tonnage. Aktuell geht es wieder bergauf. Mir ist wichtig zu betonen, dass für uns nicht nur die Tonnage, also der Absatz, entscheidend ist. Darüber hinaus spielen die gelieferte Qualität des Stahls wie auch die zum Stahl integrierten Dienstleitungen, die wir vor Ort realisieren, eine wesentliche Rolle.

Was bedeutet «integrierte Dienstleistungen»?

P. Breitenmoser: Als modernes Stahl-Service-Center übernehmen wir für unsere Kunden sowohl die Beschaffung und Lager­haltung des Rohmaterials als auch Sägen und Anarbeitungen sowie vor allem auch die saubere und zuverlässige Just-in-time-Lieferung des Materials mit firmeneigenen LKW. Unser Tagesgeschäft muss laufen. Wenn am Nachmittag bis 14.30 Uhr bestellt wird, dann haben unsere Kunden das Rohmaterial am folgenden Tag. Aus logistischer Sicht ist das hoch anspruchsvoll.

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Apropos Qualität, Sie liefern auch in engsten Toleranzen?

P. Breitenmoser: Genau. Zum Beispiel haben wir kürzlich unser Lagersortiment der Werkstoffe 1.4301 und 1.4305 in der Ausführung geschliffen h6 im Abmessungsbereich 3 bis 22 mm rund ausgebaut.

Wie verläuft eine solche Beschaffung?

P. Breitenmoser: Rohmaterial-Beschaffung ist Teil unseres Kerngeschäfts. Wir sind gut vernetzt und nutzen unsere internationalen Kontakte, meistens mit Erfolg. In der Branche kursiert der Spruch: «Wenn es der Schmobi nicht hat, dann kannst du aufhören zu suchen.» Das ist ein Riesenkom­pliment, aber auch eine Verpflichtung.

Gerade im Bereich von Edelstahl und Vergütungsstählen spielen spezifische Legierungsbestandteile wie Chrom, Nickel, Vanadium, Molybdän eine wichtige Rolle, welche Auswirkungen haben diese Legierungsbestandteile auf das Preisgefüge und die Lieferfähigkeit der Stähle?

P. Breitenmoser: Preise auf spezifische Legierungsbestandteile haben immer einen Einfluss auf das Preisgefüge. Darüber hinaus können Börsenspekulationen eine Rolle spielen, wenn Nickel eine höhere Börsen-Nachfrage erfährt, steigt der Preis für entsprechend legierte Stähle. Für uns sind knappe Verfügbarkeiten, längere Lieferfristen und Kostensteigerungen tagtägliche Herausforderungen. Unser Einkaufs- und Verkaufsteam bleibt entsprechend stark gefordert. Doch genau in solchen Zeiten, wie sie aktuell vorherrschen, können wir uns mit unserem Leistungsversprechen, das Qualität, Geschwindigkeit und Partnerschaft verspricht, im Tagesgeschäft beweisen.

Wie hat sich der Stahlhandel aus Ihrer Sicht in den letzten Jahrzehnten gewandelt?

P. Breitenmoser: Wir haben uns konsequent vom Händler zum Dienstleister entwickelt und sind heute der führende Stahldienstleister für die Schweizer MEM-Industrie und deren Zulieferer. Rund zwei Drittel aller Auftragspositionen werden heute auf ein Fixmass gesägt. Als zuverlässige verlängerte Werkbank für Fixzuschnitte und Anarbeitungen ermöglichen wir unseren Kunden, sich auf ihr Kerngeschäft zu fokussieren.

Setzen Sie auch auf kundenspezifische Lagerhaltung?

P. Breitenmoser: Ja, dafür schliessen wir mit unseren Kunden zum Beispiel Mengen­kontrakte ab, mit einer bestimmten Anzahl Kontraktabrufe in einem definierten Zeitraum. Damit garantieren wir unseren Kunden die höchste Verfügbarkeit.

Vor rund drei Jahren hat Schmobi das Stahlportal präsentiert. Wie ist dieser digitale Kanal von den Kunden angenommen worden?

P. Breitenmoser: Das Stahlportal hat sich schnell am Markt etabliert, wird tagtäglich intensiv genutzt und bietet den Kunden echten Mehrwert. Heute werden rund zwei Drittel aller Preisanfragen online getätigt und gut 25 Prozent der Auftragspositionen im Stahlportal bestellt. Mit dem Stahlportal haben wir uns im E-Business des Schweizer Stahlhandels die Leaderposition erarbeitet. Und: Unser Stahlportal ist für den Digital Commerce Award 2022 nominiert (siehe Info-Kasten).

Gibt es im Bereich der Digitalisierung und Automatisierung noch weitere Projekte?

P. Breitenmoser: Unser neustes Projekt ist die automatisierte Bestellabwicklung dank künstlicher Intelligenz. Hier setzen wir virtuell auf unsere jüngste «Fachkraft Kim», eine künstlich intelligente Mitarbeiterin. Auf www.kim-schmobi.ch erzählt Kim unseren Kunden und Interessenten gerne alles Wissenswerte rund um dieses revolutionäre Digitalisierungsprojekt und wie sie arbeitet. Ein Besuch auf Kims Landingpage lohnt sich.

Neben Stahl liefern Sie auch Aluminium. Welche Rolle nimmt Aluminium bei Ihnen ein?

P. Breitenmoser: Unser Fokus sind Stab-​Stahlprodukte. Im Lagergeschäft für Blankstahl, rostbeständigen Edelstahl und Edelbaustahl sind wir schweizweit führend. Aluminium, sowie auch Stahlrohre, Werkzeugstahl und Guss, ergänzen unsere Hauptwarengruppen, um unseren Kunden ein möglichst breites Sortiment aus einer Hand anbieten zu können.

Wenn ein Kunde für seinen Fertigungsprozess Legierungsbestandteile in engeren Toleranzfeldern benötigt als die Norm vorschreibt. Bieten Sie solche eng tolerierten Stahllegierungen an?

P. Breitenmoser: Wir kennen solche Kunden­anforderungen. Insbesondere bei Rostfrei-Stählen müssen spezifische Legierungselemente unter Umständen sehr eng toleriert werden. Wir arbeiten in solchen Fällen mit unseren Stahl-Herstellern zusammen. Auf unsere Anfrage hin werden Sonderschmelzen aufgesetzt, wo der Stahl mit den Legierungselementen entsprechend präzise dosiert wird.

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Wie und wo werden die Legierungselemente zugemengt?

P. Breitenmoser: Solche Prozessabläufe sind hochgradig komplex und bestimmen letztendlich die Qualität des Stahls. Zum Beispiel aufgrund der Verdampfungstemperatur bestimmter Elemente müssen diese nicht im Schmelztiegel, sondern im Abguss gleichmässig dazugegeben werden.

Stahl gehört zu den wichtigsten Rohstoffen der Industrie. Im Zusammenhang mit der aktuellen Situation in der Ukraine wird die Abhängigkeit der Stahlproduktion von spezifischen Nationen stärker in den Fokus gerückt. Wer sind Ihre wichtigsten Stahlanbieter, mit denen Sie zusammenarbeiten?

P. Breitenmoser: Wir beziehen unsere Stahl- und Aluminiumprodukte zu über 95 Prozent von Lieferwerken aus Staaten der Europäischen Union (EU) und der Schweiz, insbesondere Deutschland, Italien und Frankreich. Dass wir mit europäischen Herstellern sehr eng zusammenarbeiten, liegt klar am Qualitätsanspruch wie auch an der Verfügbarkeit.

Gerade in Bezug auf Qualität haben wir mit unseren Lieferwerken und deren Qualitätsmanagement immer gute Erfahrungen gemacht.

Wie beeinflusst der Ukrainekrieg Ihr Geschäfts­umfeld?

P. Breitenmoser: Der bewaffnete Konflikt zwischen Russland und der Ukraine führt vor allem zu Unsicherheiten und wirkt sich auch auf die europäische Stahlwirtschaft aus. Wie einschneidend die Auswirkungen sein werden, ist derzeit noch schwierig abschätzbar.

Unser Einkaufs- und Verkaufsteam verfolgt die Beschaffungsmarktsituation stets genau, um schnell entsprechende Massnahmen ergreifen zu können. Wir sind jederzeit bestrebt, die Materialversorgung optimal gewährleisten zu können und Engpässe auf ein Minimum zu beschränken.

Wie werden Sie in Anbetracht der aktuellen politischen Lage zukünftig Ihre strategischen Lieferwerke auswählen, um prozesssicher am Standort Schweiz Stahl liefern zu können. Welche Faktoren spielen bei der Auswahl darüber hinaus konkret eine Rolle?

P. Breitenmoser: Aufgrund dessen, dass wir den Stahl aus Lieferländern in politisch stabilen Regionen beziehen, haben wir in der Vergangenheit die Weichen bereits richtig gestellt.

Die Beschaffungsmarktsituation ist aber generell äusserst anspruchsvoll. Nicht zuletzt aus diesem Grund suchen wir mit unseren Geschäftspartnern stets gemeinsam nach Lö­sungen. Wir sind ein unabhängiger Stahlhändler, der flexibel im Einkauf agieren kann.

Wenn ich das versuche zu interpretieren, dann ist es entscheidend, dass wir in Europa gute Stahlhersteller haben.

P. Breitenmoser: Das ist absolut korrekt. Ich kann grad ein Beispiel nennen, wir haben eine Bestellung reinbekommen, da mussten wir in Indien bestellen, weil das Material nicht mehr in Europa hergestellt wird. Die Lieferung steckt momentan im Stau, aber nicht auf der Strasse, sondern im Stau der Schiffhandelsroute. Da haben wir praktisch keinen Einfluss mehr auf den Liefertermin. Wir werden an unseren bewährten Lieferpartnern festhalten und diese weiterhin bestmöglich berücksichtigen. SMM

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