SMM-Exklusivinterview mit Jens Bleher, CEO Fritz Studer AG Jens Bleher: «Mit Schwung ins 2023»
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Das SMM-Interview mit Jens Bleher (CEO, Fritz Studer AG) fand bezeichnenderweise in der ehemaligen Produktions- und Montagehalle des Unternehmens statt, wo vor 111 Jahren die ersten Studer-Schleifmaschinen produziert wurden. Heute steht die Fritz Studer AG so gut wie nie zuvor da, hat ihre Fertigungstiefe ausgebaut und blickt optimistisch in die Zukunft. Ein Vorzeigebeispiel des modernen Werkzeugmaschinenbaus am Standort Steffisburg.

SMM: Unsere Ausgabe SMM 01 läuft unter dem Motto «Startschuss 2023». Wie hat 2023 für die Fritz Studer AG gestartet und welche Erwartungen haben Sie konkret für das Jahr 2023?
Jens Bleher: Wir hatten generell ein sehr gutes 2022 mit einem sehr intensiven zweiten Halbjahr. Das letzte Quartal war fast das beste seit Bestehen der Fritz Studer AG. Darüber hinaus waren die Auftragseingänge ausgezeichnet. Der Dezember 2022 war der zweitbeste überhaupt. Wir konnten den hervorragenden Endspurt im letzten Jahr sozusagen in einen fliegenden Start umwandeln. Dank prall gefüllter Auftragsbücher starten wir mit ordentlichem Schwung in das neue Jahr.
Welche Rolle hat die Fritz Studer AG im Rahmen der United Grinding Group?
J. Bleher: Wir sind als grösste Markengesellschaft in der Gruppe der Spezialist für das Rundschleifen, neben den weiteren Technologiegruppen Flach- und Profilschleifen, Werkzeugbearbeitung sowie Additive Fertigung. Als wichtiger Partner im Produktionsverbund fertigen wir in grossem Umfang Maschinenkomponenten und montieren Grundmaschinen im Auftrag unserer United-Grinding-Schwestergesellschaften.
Wie schätzen Sie die zukünftige Entwicklung des Werkzeugmaschinenbaus ein. An welchen Zahlen orientieren Sie sich konkret?
J. Bleher: Generell hat der Werkzeugmaschinenbau in der Schweiz eine hervorragende Tradition. Die Unternehmen, die hier produzieren, haben unseres Erachtens auch langfristig gute Chancen, im Markt zu bestehen. Wenn es um die mittelbare Zukunft geht, nutzen wir seit Jahren ein komplexes Prognosemodell, das auf zahlreichen Werten aus verschiedenen Quellen basiert. Vor dem Hintergrund der unsicheren weltpolitischen Lage sind die allgemeinen Wirtschaftsindikatoren derzeit für unsere Branche eher verhalten. Sie entsprechen allerdings nicht immer ganz der aktuellen Entwicklung unseres Geschäfts.
Woran kann das liegen?
J. Bleher: Mit unseren Rundschleifmaschinen decken wir ein spezifisches Segment im WZM-Bau ab, ein Markt, der sich durchaus anders verhalten kann als Werkzeugmaschinen im Generellen. Zudem hilft uns sicherlich unsere technologische Spitzenposition unter den Mitbewerbern in diesem Segment. Wir haben seit jeher den Anspruch, uns besser als der Markt zu entwickeln. Ebenso bringen uns die zahlreichen neuen Produkte, die wir auf den Markt gebracht haben, erfahrungsgemäss immer einen Wachstumsschub. Zusätzlich kommen hervorragende Zahlen aus dem Bereich des Customer Care. Unser Servicegeschäft wächst seit vielen Jahren deutlich.
Sie sprechen die positive Entwicklung im Customer Care an, welche Rolle spielt dieses Technologiefeld für Studer?
J. Bleher: Generell haben wir immer mehr Maschinen im Markt. Schleifmaschinen sind sehr langlebig und die wachsende installierte Basis bringt Wachstum im Customer Care. In unseren bestehenden Dienstleistungen, wie klassischen Serviceeinsätzen, Wartungen, Ersatzteilvertrieb, Überholungen und zunehmend auch den United Grinding Digital SolutionsTM, steckt sehr viel Dynamik. Wir wollen diesen Sektor weiter ausbauen. Unsere dezentrale Infrastruktur mit unseren Servicetechnikern weltweit vor Ort ist hierfür die beste Vorrausetzung. Service ist heute wichtiger denn je, um die Maschinenverfügbarkeit hoch zu halten und damit eine hohe Produktivität zu gewährleisten.
Die Fritz Studer AG hat über die letzten Jahre kontinuierlich den Standort Steffisburg ausgebaut und – meines Wissens – die Fertigungstiefe erhöht. Es wurden Fertigungsbereiche aus Deutschland in die Schweiz verlagert. Was sind die Hintergründe für diese Schweizer Erfolgsgeschichte?
J. Bleher: Studer hat über Jahre eine Vielzahl neuer Investitionen im Bereich der Produktion getätigt. Und wir haben in diesem Zusammenhang für Know-how-getriebene und sensible Bauteile, die zum Teil extern gefertigt wurden, eine Insourcing-Strategie verfolgt.
Gleichwohl, der starke Franken und die hohen Produktionskosten sind doch alles andere als ideale Rahmenbedingungen für eine Schweizer Fertigung.
J. Bleher: Durch die Währungsentwicklung sind wir quasi zur Produktivität verdammt. Wir verstehen den starken Franken als ein permanentes Fitnessprogramm. Tatsächlich gibt es Schweizer Maschinenbauer, die ausschliesslich in Asien oder Osteuropa fertigen. Wir haben dagegen auf eine hocheffiziente Fertigung und die Fliessmontage gesetzt, die wir in den kommenden Jahren konsequent ausbauen werden. Dadurch haben wir das «Sourcing» aller qualitätsrelevanten Maschinenkomponenten in der eigenen Hand.
Wie hat sich das internationale Geschäft in den letzten 10 Jahren entwickelt. In welchen Ländern gab es das grösste Wachstum und welches sind die wichtigsten Absatzmärkte in Europa?
J. Bleher: Europa ist mit seinem 50-Prozent-Anteil für uns der wichtigste Absatzmarkt, dann kommen Asien und USA. Die wichtigsten europäischen Länder sind Deutschland und Italien. Wir haben eine sehr gleichmässige Verteilung weltweit. Der wichtige Schweizer Markt beträgt zwar weniger als fünf Prozent unseres Gesamtumsatzes, aber er ist sehr Know-how-getrieben, was uns technologisch herausfordert.
Welche Regionen entwickeln sich positiv?
J. Bleher: Asien hat sich sehr gut entwickelt, China, aber auch Japan, Taiwan und Korea spielen eine wichtige Rolle. Die USA haben ebenso deutlich zugelegt, dort wird auch unser Systemgeschäft immer bedeutender. Wie sich die Märkte zukünftig entwickeln, ist nicht einfach zu sagen. In China haben wir als United Grinding Group einen wichtigen Standort in Shanghai. Vor Ort erfolgen Vertriebs- und Serviceunterstützung, zudem werden Schleifmaschinen für den dortigen Markt entwickelt und produziert. Im Fertigungsverbund der Gruppe liefern wir teilweise wichtige Komponenten aus der Schweiz zu.
Sie haben den Schweizer Markt bereits angesprochen, welche Rolle spielt er für Ihr Unternehmen, aus technologischer wie auch aus gesamtwirtschaftlicher Sicht?
J. Bleher: Unsere Schweizer Kunden sind mit den gleichen Standortbedingungen konfrontiert wie wir und haben daher traditionell sehr hohe Anforderungen an Qualität und Produktivität. Die Projekte sind oft komplex und mit umfangreicher Automation verbunden. Unsere Kunden fordern uns, und das ist ein sehr wichtiger Faktor für uns, zumal wir sehr direkt mit ihnen Optimierungen erarbeiten können, was letztlich in unsere Entwicklung und damit in die Schleifmaschinentechnologie mit einfliesst.
Zukunft Elektromobilität: Komponenten im Bereich der Verbrennungsmotoren werden aller Voraussicht nach schrumpfen. Komponenten im Bereich der Elektromobilität werden zulegen. Wie ordnen Sie die Entwicklung ein?
J. Bleher: E-Mobilität ist für die Fritz Studer AG bereits sehr präsent, wir führen seit 2015 Anwendungsversuche mit unseren Kunden durch. Thema Verbrennungsmotoren: Wir sind von diesem Sektor erheblich weniger abhängig, als man das glauben mag. Bis in die 90er Jahre hinein waren wir im Massenmarkt im Einspritzbereich sehr aktiv. Die heutigen Umsätze im Automobilsegment können wir jedoch durch Wachstum in anderen Branchen gut ausgleichen. Dies halte ich für eine unserer Stärken: Wir waren schon immer sehr diversifiziert aufgestellt, sowohl hinsichtlich der Vertriebsregionen als auch der Kundenbranchen. Der Wandel, den die Elektromobilität mit sich bringt, bietet für die Fritz Studer AG zudem grosse Chancen. Daher ist die Elektromobilität für uns ein interessanter Markt mit neuen Anwendungen. Immer wenn es um hohe Energieeffizienz geht, werden in der Regel enge Toleranzen, sehr hochwertige und masshaltige Oberflächen benötigt, also genau das Richtige für unsere Studer-Maschinen.
Sie verfügen über zwei Sitze, einen in Steffisburg und der Innenschleifbereich in Biel. Warum werden diese beiden Technologien an unterschiedlichen Standorten entwickelt? Welche Rolle spielt die Integration von Innenschleifprozessen im Bereich des Aussenrundschleifens?
J. Bleher: Die beiden Standorte lassen sich historisch herleiten. Steffisburg ist der ursprüngliche Sitz von Studer. In 2008 hatten wir zudem das Unternehmen Combitec in Biel übernommen, einen absoluten Spezialisten im Bereich des Innenschleifens, mit dem Ziel, unsere Position in diesem Segment auszubauen. Seither hat das Studer Competence Center Innenschleifen in Biel einen klaren Produktfokus im Markt und berät Kunden spezifisch auf Innenschleifprozesse. Unsere Mitarbeitenden dort verfügen über ein enormes technologisches Wissen, das es uns im letzten Jahrzehnt ermöglicht hat, in diesem Bereich deutlich zu wachsen. Wir halten sehr bewusst an beiden Standorten fest. Beide profitieren voneinander, die Aufgaben sind jedoch klar geregelt und der Austausch ist sehr intensiv.
Aber es gibt doch sicher einen Technologietransfer, auch Studer-Universalschleifmaschinen verfügen über Innenschleifoperationen?
J. Bleher: Es gibt einen Know-how-Transfer, das ist ganz klar. Studer setzt für seine Universalschleifmaschinen, wie Sie richtig sagen, ebenfalls Innenschleifspindeln ein und verfügt auch hier über sehr viel Know-how. Es ist jedoch ein ganz anderer Faktor, wenn Innenschleifspezialisten, die nichts anderes machen, die Universalschleifspezialisten unterstützen. Zu den technologischen Vorteilen bieten sich produktionstechnische Synergien: Wir stellen alle Grundmaschinen am Standort Steffisburg her. Mit unserem High-End-Maschinenpark können wir beispielsweise die Maschinenkomponenten aller Maschinentypen in höchster Qualität fertigen.
Nennen Sie Gründe, warum der Standort Schweiz ein idealer Standort ist für modernen Werkzeugmaschinenbau?
J. Bleher: Es muss einiges für den Werkplatz Schweiz sprechen, sonst würden wir nicht über die hohe Fertigungstiefe hier in Steffisburg verfügen. Die Schweiz hat eine lange Tradition im Werkzeugmaschinenbau, daher verfügt der Werkplatz Schweiz über viele Spezialisten in diesem Bereich. Diese Kompetenzen fallen jedoch nicht vom Himmel, die müssen wir selbst ausbilden, und das gelingt sehr gut am Werkplatz Schweiz. Das Ausbildungsniveau ist sehr hoch und das Schweizer Ausbildungssystem ist perfekt für unsere Branche. Mit dem anerkannten Abschluss des Schleiftechnologen konnten wir sogar einen Ausbildungsberuf eigens für Studer kreieren.
Was spricht gegen den Standort Schweiz?
J. Bleher: Auf den ersten Blick sind die Kosten in allen Bereichen im Ländervergleich hoch und der starke Schweizer Franken ist wie erwähnt nicht gerade ideal für ein exportorientiertes Unternehmen.
Was heisst das für Sie?
J. Bleher: Gute Standortbedingungen locken auch hochqualifizierte Mitarbeitende zu uns, die dafür sorgen, dass wir anspruchsvolle Maschinen entwickeln und produzieren können. Letzten Endes müssen wir jedoch höhere Kosten durch eine höhere Produktivität wettmachen und zudem Schleifmaschinen entwickeln, die für unsere Kunden Vorteile in deren Wettbewerb generieren. Die Nachteile des Standorts Schweiz sind unsere tagtägliche Herausforderung, mit dem Ziel, diese in Vorteile umzumünzen.
Wie kommen Sie zu den hochqualifizierten Mitarbeitern im Berner Oberland, der Arbeitsmarkt ist doch einigermassen begrenzt, oder sehe ich das falsch?
J. Bleher: Wir brauchen gute und hochmotivierte Mitarbeitende und müssen uns als attraktiver Arbeitgeber positionieren. Wir stehen auch in Konkurrenz zu hippen Berufen, das fordert uns. Dabei können wir nicht mit einem 60er Ruhepuls agieren. Da braucht es schon einiges mehr. Unser Einzugsgebiet ist jedoch relativ gross. Zudem sind wir ein Unternehmen mit technologisch hochstehenden Produkten und internationalen Märkten, dazu noch KMU-geprägt mit Gestaltungsmöglichkeiten. Das ist für viele Menschen interessant und attraktiv. Ein Standortvorteil und guter Ausgleich ist sicher auch der hohe Freizeitwert der umliegenden Berg- und Seeregion.
Gibt es technologische Meilensteine im Bereich des Rundschleifens in den letzten Jahren, die Sie hervorheben würden?
J. Bleher: Technologisch gesehen ist Studer «Wire-Dress» eine der bedeutendsten Innovationen im Bereich der Schleiftechnik. Diese patentierte Technologie, das Abrichten von Schleifscheiben über einen Drahterosionsprozess, hat extreme Vorteile, denn sie erlaubt den Einsatz metallgebundener Schleifscheiben. Damit erzielen wir exzellente Bearbeitungsqualität und unerreichte Produktivität, vor allem bei harten Materialien. Mit der «Wire-Dress»-Technologie können wir hervorragend Hartmetall und sogar Diamant schleifen.
«Wire-Dress» funktioniert aber nur bei metallgebundenen Schleifscheiben.
J. Bleher: Korrekt, aber diese Schleifscheiben können wir mit «Wire-Dress» wirtschaftlich und hochgenau abrichten und bringen unsere Kunden damit in völlig neue Fertigungssegmente. Der Kunde muss allerdings ein wenig umdenken, bezüglich der eingesetzten Schleifmittel, um die Vorteile des Verfahrens zu nutzen.
Die Auszubildenden sind omnipräsent bei der Fritz Studer AG.
J. Bleher: Ja, wir legen wirklich grossen Wert auf die Lehrlingsausbildung, die Lernenden haben einen Anteil von elf Prozent bei uns. Wir sind stets sehr engagiert im Bereich unseres Ausbildungswesens. Daran halten wir fest, unabhängig von der jeweiligen Wirtschaftslage. Auch unsere Auszubildenden positionieren sich ausgezeichnet: World-Skills 3. Platz, Euro-Skills 2. Platz, Swiss-Skills 1. Platz. Die jungen Menschen sind anders unterwegs, die sind digital aufgewachsen. Da kommt viel frischer Input in die 111-jährige Fritz Studer AG hinein, das wird immer wichtiger. Unsere heutigen Auszubildenden sind die Zukunft von Studer. SMM
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