Wie MEM-Berufe für Mädchen attraktiver machen? Mehr Frauen für die MEM-Branche – aber wie?
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Um die Attraktivität von MEM-Berufen für Mädchen und junge Frauen zu erhöhen, sollte der Wettbewerb zwischen Buben und Mädchen so gestaltet werden, dass den unterschiedlichen Vorlieben zwischen den Geschlechtern Rechnung getragen wird.

Heutzutage arbeiten nur wenige Frauen in der Maschinen-, Elektro- und Metall-Industrie (MEM). Beispielsweise gab es 2018 gemäss Bundesamt für Statistik lediglich 30 Automatikerinnen, jedoch 653 Automatiker mit eidgenössischem Fähigkeitszeugnis (EFZ). Noch dramatischer sah die Statistik für den besonders gefragten Polymechanik-Beruf aus: Mit 42 Polymechanikerinnen EFZ war der Frauenanteil gerade bei 3 Prozent! Ein ähnliches Bild zeigte sich bei den Auszubildenden: Von den insgesamt 5329 abgeschlossenen Lehrverträgen als Polymechaniker/in gingen nur 197 oder 4 Prozent an Frauen. Stattdessen sind übermässig viele Frauen in den sogenannten frauentypischen Berufen wie etwa in der Pflege und im Verkauf vertreten, die mit weniger Einkommen, Aufstiegschancen und Altersrenten verbunden (und derzeit in der Corona-Krise auch noch besonders stark belastet) sind. Im scharfen Kontrast dazu stehen Berufe in der MEM-Industrie, die im digitalen Zeitalter ausgezeichnete Berufsperspektiven und Einkommenschancen bieten.
Diese Zahlen sind umso verwunderlicher, als Frauen in MINT-Fächern (MINT = Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften und Technik) keineswegs schlechter als Männer abschneiden. Den Ergebnissen der letztjährigen PISA-Studie zufolge zeigen Mädchen in den meisten Ländern mindestens eine genauso gute mathematische Leistung wie Buben. In einigen Ländern mit geschlechtergetrenntem Unterricht wie in Saudi-Arabien schneiden Mädchen sogar besser ab.
Umfangreiche Bemühungen
Wie lässt sich die Unterrepräsentation der Frauen in der MEM-Industrie angesichts dieser Daten erklären? Und dies trotz umfangreicher Bemühungen, Mädchen und junge Frauen für diese attraktiven Berufe zu gewinnen? Dazu gehören:
- Konzepte wie «explore-it» und «Meitli-Techniktage», die jungen Frauen Einblicke in die Welt der Technik ermöglichen;
- Gestaltung der Arbeitsbedingungen zugunsten besserer Vereinbarkeit von Familie und Beruf.
- Möglichkeiten zum Erfahrungsaustausch durch die von SwisswoMEMclub organisierten Veranstaltungen.
Dennoch will es nicht gelingen, mehr Mädchen und junge Frauen für die attraktiven MEM-Berufe zu gewinnen. Woran liegt es?
Unterschiedliche Wettbewerbsvorlieben
Neuere Forschungen lassen vermuten, dass klassische Rollenvorstellungen sicher eine Rolle spielen, dass aber etwas Wichtiges hinzukommt: Zahlreiche Experimente haben gezeigt, dass Frauen – insbesondere leistungsfähige Frauen – den Wettbewerb gegen Männer in typischen Männerdomänen wie den MEM-Berufen scheuen. Bei Jugendlichen ist dies um so mehr der Fall, je besser die schulischen Leistungen sind. Die Unterschiede in der Wettbewerbsneigung zwischen Buben und Mädchen verschwinden, wenn sich die Mädchen in Mädchengruppen befinden.
Die unterschiedlichen Wettbewerbsvorlieben können nicht durch die Leistungsunterschiede zwischen Frauen und Männern erklärt werden. Sie haben ihre Ursache darin, dass es vielfach als «unweiblich» gilt, wenn Mädchen oder Frauen in männertypischen Feldern besser sind als ihre männlichen Kollegen. Das bringt ihnen – auch heute noch – Sympathieverluste, und deshalb lassen sie es bleiben. Dieses Verhalten ist besonders in der Adoleszenz-Phase ausgeprägt, also in der Zeit der Ausbildung, in der es darum geht, mehr Meitli für MEM-Berufe zu gewinnen.
Was tun?
Wie könnte man diese Erkenntnisse umsetzen, um die Attraktivität von MEM-Berufen für Mädchen und junge Frauen zu erhöhen? Eine mögliche Antwort lautet: Den Wettbewerb so gestalten, dass den unterschiedlichen Vorlieben zwischen den Geschlechtern Rechnung getragen wird. Was für Möglichkeiten gibt es dafür?
Die erste Möglichkeit wäre, die Teamarbeit zu fördern. Innerhalb von Teams gibt es zwar auch Wettbewerb, aber in guten Teams überwiegt die solidarische Zusammenarbeit. Empirische Befunde zeigen denn auch, dass Teamarbeit in gemischten Teams für Frauen besonders attraktiv ist. Ausserdem haben solche Teams den Vorteil, die vorherrschenden Stereotypen («die Technikwelt ist eine Männerwelt») abzumildern. Aber dazu müssen erst einmal genügend Mädchen für diese Ausbildung gewonnen werden. Deshalb braucht es weitergehende Massnahmen.
Eine zweite Möglichkeit wäre eine partielle Ausbildung in Mädchengruppen, wie das zum Beispiel in einigen US-High-Schools der Fall ist. Mädchen unter sich haben keine Abneigung gegen Wettbewerb, sind in Fächern wie Mathe und Informatik gleich gut wie Buben und wählen vor allem auch deutlich mehr diese Fächer. Das zeigt sich auch in muslimischen Ländern, in denen es keine Koedukation gibt. Während die Geschlechtertrennung in der Praxis schwer ausführbar ist, könnten Auszubildende während ihres theoretischen Unterrichts in relevanten Fächern in geschlechtergetrennten Klassen unterrichtet werden.
Eine dritte Möglichkeit wäre, die Ausbildungs- und Berufsbezeichnungen zu reformieren und die Inhalte entsprechend anzupassen. Ziel wäre, das Image von Technik als Männerdomäne abzubauen, welches Frauen immer noch signalisiert, dass sie dort nichts zu suchen haben. Wie das geht, hat die ETH Zürich vorgemacht. Sie hat ein neues Department «Gesundheitswissenschaften und Technologie» gegründet, welches einen hohen Anteil technischer Ausbildung umfasst, aber mit als «weiblich» geltenden Bereichen (zum Beispiel Biomedical Engineering) verbindet. Mit einem Frauenanteil von über 60 Prozent steht dieses Departement im deutlichen Kontrast etwa zum Department Informationstechnologie und Elektrotechnik mit einem Frauenanteil von nur ca. 20 Prozent.
Eine vierte Möglichkeit wären materielle Anreize. Um mehr junge Frauen zu einer Entscheidung für einen MEM-Beruf zu motivieren, könnte eine zeitlich begrenzte Antrittsprämie angeboten werden, bis ein bestimmter Frauenanteil erreicht ist. In Experimenten wurde nachgewiesen, dass der Anteil der Frauen, die sich für den Eintritt in den Wettbewerb mit männlichen Kollegen entscheiden, durch solche Prämien deutlich erhöht werden kann. Dem Vorwurf der Ungleichbehandlung könnte man entgegensetzen, dass erwiesenermassen die Produktivität von gemischten Teams höher ist.
Massnahmen beruhen auf Forschungsergebnissen
Diese ungewöhnlich erscheinenden Vorschläge könnten und sollten ergänzt werden um solche Massnahmen, die sich andernorts bewährt haben. So können erfolgreiche Frauen in der MEM-Branche als Rollenmodelle für junge Frauen inszeniert werden, etwa indem sie an Informationsveranstaltungen und in Schulen auftreten und über ihren beruflichen Werdegang berichten. Dies verschafft ihnen zugleich Anerkennung für ihre Pionierleistungen.
Die vorgeschlagenen Massnahmen beruhen auf gesicherten Forschungsergebnissen. Inwieweit sie umsetzbar sind, muss vor Ort unter Fachleuten diskutiert werden.
Die Autorinnen
Prof. Dr. Dr. h. c., dipl. Ing. Margrit Osterloh ist emeritierte Professorin an der Universität Zürich, ständige Gastprofessorin an der Universität Basel und Forschungsdirektorin von CREMA (Center for Research in Economics, Management and the Arts).
Mandy Fong ist des. Master of Science in Psychology und Forschungsassistentin bei CREMA. SMM
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