OTS 2019: Nutzen der Künstlichen Intelligenz für die Industrie Rekord am Ostschweizer Technologiesymposium

Autor / Redakteur: Matthias Böhm, Chefredaktor SMM / Matthias Böhm

Über 300 Teilnehmer besuchten das 19. Ostschweizer Technologiesymposium (OTS) in St. Gallen. Thematisch ging es rund um Automation und Künstliche Intelligenz (KI) und wie diese Technologien sich auf die zukünftige Entwicklung der Industrie auswirken.

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Besucherrekord: Über 300 Teilnehmer nahmen am Ostschweizer Technologiesymposium 2019 teil. Damit gehört das OTS zu den grössten Veranstaltungen des Werkplatzes Schweiz.
Besucherrekord: Über 300 Teilnehmer nahmen am Ostschweizer Technologiesymposium 2019 teil. Damit gehört das OTS zu den grössten Veranstaltungen des Werkplatzes Schweiz.
(Bild: Matthias Böhm)

«Die Eisenbahn ist ein Teufelsding, wer mit ihr fährt, kommt in die Hölle», so zitierte Markus Bänziger (Direktor, Industrie und Handelskammer, St. Gallen-Appenzell) einen damaligen Zeitzeugen und Pfarrer, als die Eisenbahn erstmalig auf die Schienen ging.

M. Bänziger resümierte: Technologiekritik sei so alt wie die Technologie selbst. Das habe sich bis heute nicht geändert, insbesondere dann, wenn es um Thematiken wie Effizienz durch Automation und Künstliche Intelligenz gehe. Diese Gesellschaftskritik müsse ernst genommen werden, um die Akzeptanz der neuen Technologien in der Gesellschaft zu erhöhen. So sind die gesellschaftlichen Auswirkungen moderner Technologien bezüglich des Arbeitsplatzgefüges Forschungsthemen vieler soziologischer Fakultäten. Änderungen gibt es eindeutig durch die neuen Technologien, das ist unumstritten. Waren noch vor einigen Jahrzehnten wiederholende Arbeitstätigkeiten Standard, so wurden solche einfachen Tätigkeiten infolge der Automatisierung substituiert. Gleichwohl schaffen neue Technologien neue Arbeitsplätze, mit anderen Strukturen für und Anforderungen an die Arbeitnehmer.

Liebherr nutzt KI im Kran- und Baggerbau

Dr. Andreas Schwarzhans (Head of R&D Analysis / Driver Assistance & Automation Liebherr MCCtec) zeigte auf, wie mittels Künstlicher Intelligenz Optimierungen im Kran- und Baggerbau realisiert werden konnten. Unter anderem ging es darum, wie eine Baggerschaufel optimal befüllt werden kann oder wie Trägerelemente dank KI prozesssicherer in den Boden gerammt werden können.

Der klassische Ingenieursansatz zur Steuerung einer Maschine basiert auf Modellen der Realität – oft bilden diese aber die komplexe Wirklichkeit nur unzureichend oder sogar falsch ab. Massive Fortschritte in Rechenleistung, Algorithmik und die immer bessere Verfügbarkeit von Daten, so. Dr. A. Schwarzhans, würden den Einsatz von maschinellem Lernen nutzbringend ermöglichen.

Dabei werden aus Daten von real im Einsatz befindlichen Maschinen Arbeits- (Einsatz) und Verhaltensmuster (Reaktion) extrahiert. Durch die Analyse möglichst vieler Maschinen lassen sich Gruppen ähnlichen Verhaltens bilden (Clustering), um gezielt Datensätze mit gewünschten Eigenschaften zum Lernen eines Modelles zu finden – dazu empfiehlt es sich, vorhandene Fachexpertise zur Interpretation einzusetzen.

Automatisierung bietet sich dafür an, da in der Regel eine optimierte Nachbildung der manuellen Realität angestrebt wird – exemplarisch zeigte Dr. A. Schwarzhans, wie etwa mittels des Einsatzes von KI-Modellen das automatische Befüllen einer Schaufel perfekt umgesetzt und massiv optimiert werden konnte.

Wagner AG: effiziente Fertigung im globalen Wettbewerb

Die Wagner AG produziert Spritzguss-, Aluminiumdruckguss-, Zinkdruckguss- oder Hybridbauteile (Kombination der Verfahren), welche auch zu Baugruppen vormontiert werden können. Diese Kompetenzen werden alle unter einem Dach angeboten. Nebst diesen Kompetenzen hat die Wagner AG ein Joint Venture in Bosnien und einen strategischen Partner in Indien, welche ebenfalls Aluminium- und/oder Zinkdruckgusskompetenzen besitzen. Die Wagner AG beliefert zu 70% den Automotivbereich, der Rest wird in den Maschinen- und Anlagebau oder in die Bauindustrie geliefert.

Markus Ledergerber (COO, Wagner AG Waldstatt): «Wir produzieren in Waldstatt in einem Jahr über 600 verschiedene Produkte, welche Jahres-Losgrössen von 50 bis über 3 Millionen Teile haben. Durch die verschiedenen Kompetenzen ist die Wertschöpfungstiefe wie auch der Fertigungsprozess bei jedem Produkt individuell. Wir sind überzeugt, dass heutzutage die Wandlungsfähigkeit und Anpassungsfähigkeit eines Fertigungsunternehmens der Schlüssel zur Effizienz und somit zum Erfolg ist.»

Hierbei wurde die Produktionsphilosophie dem Toyota-Produktionssystem angeglichen. Das übergeordnete Ziel ist es, die Durchlaufzeit fortlaufend zu reduzieren und zu optimieren. Dadurch werden die drei Wertetreiber Kosten, Liefertermintreue wie auch die Qualität fortlaufend verbessert.

Durch das perfekte Zusammenspiel eines intelligenten Systems, des Lean Management und einer guten Führungsmannschaft kann sich ein Unternehmen sehr schnell auf veränderte Gegebenheiten einstellen. Dies ist heutzutage ein wichtiger Erfolgsfaktor, um effizient und erfolgreich am Markt agieren zu können. Durch die konsequente Umsetzung konnte die Wagner AG die Administration klein halten, die Qualitätskosten in den letzten 2 Jahren um jeweils 13 Prozent reduzieren. Die Liefertermintreue wie auch die Effizienz wurden um je 10–15 Prozentpunkte erhöht.

Offene Industrial-IoT-Plattform

Die japanische Firma Fanuc ist Marktführer im Bereich CNC-Steuerungen und Robotik. Michael Schüpbach (Sales Engineer, Fanuc) präsentierte die offene Industrial-IoT-Plattform FIELD System, welche Produktionsmaschinen und Roboter unterschiedlicher Hersteller in einer Fabrik verbindet und so eine umfassende Datenanalyse entlang der gesamten Prozess­kette ermöglicht – ein entscheidender Schritt in Richtung Smart Factory. Wichtig zu wissen: alle Daten können lokal gespeichert und verarbeitet werden und werden nur auf Wunsch in die Cloud geladen.

Der Fokus der Präsentation lag auch auf intelligenten Sensoren wie z. B dem neusten 3D-Vision-Sensors «3DV/600» und der Künstlichen Intelligenz. Mit Bespielen in Form von Videos wurden die verschiedenen Technologien gezeigt, welche direkt über die Robotersteuerung programmiert werden können.

«KI in der Produktion – gestern, heute und morgen»

In seinem Referat «KI in der Produktion – gestern, heute und morgen» erläuterte Prof. Dr. Lukas Schmid, Leiter des Instituts für Innovation, Design und Engineering der FHS St. Gallen, was unter der Künstlichen Intelligenz ursprünglich verstanden wurde und wie sich das Themenfeld seit den 50er Jahren entwickelt hat.

Anhand ausgewählter Anwendungen in der Produktion wie z. B. der Optimierung von Fertigungsprozessen, der Predictive Maintenance oder dem Einsatz kollaborativer Roboter zeigte er auf, welchen Werkzeugkasten die Künstliche Intelligenz heutzutage für produzierende Unternehmen bereithält. Abschliessend wagte er einen Blick in die Zukunft, wo Mensch und Maschine (Exoskelett) sowie die physische Produktion und das virtuelle Abbild davon (Digital Twin) zunehmend verschmelzen.

KI nutzen für Analysen von Märkten

Steffen Konrath (Gründer Liquid Newsroom) zeigte darüber hinaus auf, wie durch komplexe Analysen von Märkten mittels KI Einsicht in die Aktivitäten von Wettbewerbern gewonnen und versteckte Marktstrukturen aufgedeckt und für eigene Strategieentwicklungen genutzt werden können. Die hieraus sich ergebenden Erkenntnisse sind sowohl in der Produktentwicklung, im Vertrieb als auch im Marketing nutzbar.

Imnoo digitalisiert Angebotsprozess

Das Unternehmen Imnoo AG hat sich auf die Digitalisierung des Verkaufsprozesses von Auftragsfertigern spezialisiert. Das über 20-köpfige Team um CEO Jonas Albergatti besteht aus Spezialisten aus den Bereichen Software Engineering, Künstliche Intelligenz und Experten aus Maschinenbau und Auftragsfertigung. In enger Zusammenarbeit mit namhaften Unternehmen aus der Schweiz entwickelten die Spezialisten eine Applikation, welche die Durchlaufzeit einer Auftragsanfrage massiv verkürzt. Mit der Angebotsapplikation Imnoo wird der gesamte Angebotsprozess digitalisiert und dank Künstlicher Intelligenz automatisiert.

Auf die Frage des SMM, was genau Imnoo kann, antwortet Jonas Albergatti: Imnoo wurde speziell entwickelt, um die digitale Transformation in der Lohnfertigerbranche kostengünstig voranzutreiben und Mitarbeiter, Lieferanten und natürlich Kunden besser miteinander zu vernetzen. Unsere Software Imnoo vereinfacht die Art und Weise, wie Lohnfertiger Offertenanfragen/Angebotsanfragen von Kunden bearbeiten. Gleichzeitig können durch die digitalisierten Arbeitsschritte Daten einfacher ausgewertet und Prozesse dadurch rascher den Marktanforderungen angepasst werden.»

Blockchain, Token, Crypto – was nützt das meinem Unternehmen?

Beim Einkauf von Lebensmitteln oder Gewürzen möchte man genau die Qualität erwerben, die einem versprochen wird. Ein aufgedrucktes Zertifikat soll es bezeugen, aber erst durch eine Track&Trace-Lösung auf der Blockchain ist diese Historie auch belegt. Informationen können wertvoll sein, allerdings nur wenn sie verifiziert und validiert sowie vollständig sind. Eine fälschungs­sichere Möglichkeit für die Rückverfolgbarkeit biete, so die Aussage von Georg Lanzinger, die Blockchain. Die Einsatzmöglichkeiten sind vielfältig und reichen von transparenten Transaktionen über Smart Contracts bis zur Prozessdokumentation. Die manipulationssichere Einbindung der gesamten Supply Chain garantiert den Kunden Qualität und Rückverfolgbarkeit auf einem nie dagewesenen Niveau. Die Blockchain könne, so G. Lanzinger weiter, somit Garant für höchstes Kundenvertrauen und exzellente Kundenbindung sein.

Machine Learning in der Produktion: Chance oder Hype?

Dr. Klaus Frick (Prof. Dr., NTB Interstaatliche Hochschule für Technik Buchs) referierte zum Thema Maschinelles Lernen. Maschinelles Lernen bezeichnet nach Aussage von Dr. K. Frick eine Sammlung von Methoden, mit deren Hilfe Entscheidungssysteme basierend auf Daten erstellt werden können und wird darüber hinaus als Teildisziplin der Künstlichen Intelligenz betrachtet.

In der Produktion tauchen solche Modelle beispielsweise in Tools zum Monitoring, zur Regelung oder zur vorausschauenden Wartung von Prozessen sowie als virtuelle Sensoren auf.

Plattform zur Optimierung und Automatisierung in der Entwicklung

Nach Aussage von Prof. Dr. Norbert Frei (NTB Interstaatliche Hochschule für Technik Buchs) profitierte in den vergangenen Jahrzehnten vor allem die Produktion durch Automationslösungen. Im Engineering steht der Automatisierungstrend erst am Anfang, ist aber im Kommen. So können beispielsweise mittels einer Engineering Plattform repetitive Arbeiten im Engineering-Prozess automatisiert werden. Die Plattform integriert bestehende Anwendungen, wie CAD oder Berechnungen, und definiert die gemeinsamen Parameter und Prozesse über alle Anwendungen. Entsprechend können die Teilsysteme auf Änderungen reagieren und Berechnungen oder Konstruktionen automatisch aktualisieren. Ziel ist es, Fehler zu vermeiden, die Effizienz zu erhöhen und Parameter über alle Anwendungen hinweg zu optimieren.

Swiss made – Schweizer Modelabel Akris

In ihrem Vortrag referierte Nadja Greven, die sich bei dem Schweizer Modeunternehmen Akris für die globale Distribution verantwortlich zeigt, über die Welt der Mode in einem sich komplett verändernden Marktumfeld. Das Unternehmen ist im High-End-Sektor der Mode eine Top-​Adresse und betreut mit seinen Mode-​Dienstleitungen beispielsweise Michelle Obama, um nur eine Prominente zu erwähnen, die stellvertretend für ein ganzes Spektrum an Persönlichkeiten steht, die auf das Schweizer Modelabel Akris setzen. Völlig entgegen dem Zeitgeist setzt Akris klar nicht auf Branding. Akris macht ganz das Gegenteil und versteckt seinen Brand, sodass er als absolut unscheinbar wahrgenommen wird. Das sei, so N. Greven, einer der Aspekte, die Akris-Kunden wichtig seien. Sie wollen nicht als Werbeträger für einen Brand stehen, aber gleichwohl Prêt-à-porter-Kleider tragen. N. Greven zeigte auf, wie Akris als Prêt-à-porter-​Hersteller und international ausgerichtetes Familienunternehmen mit den Vor- und Nachteilen der KI und Digitalisierung umgeht.

Über 300 Teilnehmer am OTS 2019

Das Thema des OTS 2019 «Effizienz durch Automation und Künstliche Intelligenz» lockte über 300 Besucher in die Olma-Hallen und brachte einen neuen Teilnehmerrekord in der 19-jährigen Geschichte des OTS. Damit hat sich das OTS zu einer der bedeutendsten Schweizer Industrie-Veranstaltungen entwickelt. Für Urs Heiz (Bruderer AG und Projektleiter Technologiesymposium OTS) – er durfte nur 5 Tage nach dem OTS in Pension gehen – war es das letzte von ihm organisierte Ostschweizer Technologiesymposium. Urs Heiz vermittelte mit seinem Team dem OTS eine besondere Wertigkeit und konnte dank seiner hervorragenden Netzwerkarbeit erstmalig die 300-Teilnehmer-Schallgrenze überwinden.

Urs Heiz: «Die Unternehmen unseres Unternehmensverbunds PTV haben hervorragende Arbeit geleistet und dank unserer Aussteller und Sponsoren konnten wir ein ausgezeichnetes Symposium veranstalten.» Für Urs Heiz war der Besucherrekord sozusagen eine Folge der langjährigen sehr guten partnerschaftlichen Zusammenarbeit der beteiligten Unternehmen und Hochschulen, die das OTS seit Jahren fördern und stützen, aber auch der sehr gut gewählten Inhalte am OTS. Urs Heiz übergibt die Leitung des OTS an Theo Thalmann (PTV), der im September 2020 das 20. OTS realisieren wird. SMM

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