Hainbuch: Flexibel spannen Wechselnde Einzelstücke automatisiert fertigen

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Fertigungsunternehmen wie WTO – Hersteller für stehende und angetriebene Präzisionswerkzeughalter – sind mit steigenden Produktionskosten und dem Mangel an Fachkräften konfrontiert. Die Lösung scheint naheliegend: eine vollständig automatisierte Fertigungshalle.

Automatisiert: Der Spann­kopf mit Anschlag wird in das Spannfutter Toplus AC 100 mit Axzug eingewechselt.
Automatisiert: Der Spann­kopf mit Anschlag wird in das Spannfutter Toplus AC 100 mit Axzug eingewechselt.
(Bild: Hainbuch)

In der Serienfertigung kann dabei auf Bewährtes zurückgegriffen werden, doch für kleine Losgrössen müssen erst einmal neue Automatisierungstechnologien entwickelt und in ein Gesamtsystem integriert werden. Beispielsweise müssen Spannmittel dafür mehrmals am Tag umgerüstet werden. Das sorgt für gewaltige Herausforderungen im Prozess und bei der Sicherheit. Gemeinsam mit dem Spannmittelhersteller Hainbuch aus Marbach hat WTO die Hürden mit eng abgestimmten Messreihen und Tests gemeistert. In der neuen Smart Factory von WTO laufen alle Prozesse automatisiert, dabei legen Roboter die Bauteile ein, wechseln die Spannmittel und fahrerlose Transportsysteme bringen alles von A nach B. Seit Ende des Jahres 2022 läuft die Fertigung eines Bauteils für die angetriebenen Werkzeuge mit einer Losgrösse von 1 bis 100 autonom 24/7. Für WTO und Hainbuch ein Meilenstein nach dreijähriger Entwicklungsphase.

Smart Factory als einzige Option

WTO hat seinen Sitz in Ohlsbach bei Offenburg, doch abseits von Ballungszentren gibt es nicht genügend Facharbeiter. Aufgrund der demografischen Entwicklung wird sich diese Situation weiter verschärfen. Ausserdem wollen immer weniger Menschen Maschinen bedienen und die Bereitschaft zur Schichtarbeit sinkt. Das erkannte auch Sascha Tschiggfrei, Geschäftsführer von WTO, und machte sich bereits im Jahr 2016 die ersten Gedanken dazu. Er führt aus: «Die Facharbeiter sind das eine, die Kostensteigerungen das andere. Da wir international agieren, ist der Wettbewerbsdruck gross, andere gehen ins Ausland und produzieren mit geringeren Kosten. Wir wollten aber am Standort in Deutschland bleiben und mussten reagieren, um langfristig die Wettbewerbsfähigkeit unseres Unternehmens zu sichern. Unsere Zukunft liegt in der Smart Factory, die rund um die Uhr produziert, und das voll automatisiert. Das verschafft uns Wettbewerbsvorteile und wir werden auch für höher qualifiziertes Personal attraktiv.»

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Exklusivpartner gesucht

Für dieses Mammutprojekt wünschte sich WTO einen Exklusivpartner für die Spannmittel, der das Commitment und die Expertise hat, geeignete Neuentwicklungen einzubringen. Sascha Tschiggfrei berichtet: «In Projektteams haben wir die technischen Details ausgearbeitet. Dabei ging es um die Fragen: Wie spannen wir die Werkstücke, wie ist die Spannung automatisiert möglich und wie können wir auch das Spannmittel automatisiert wechseln? Ziel war, dass sich die Maschinen komplett selbst umrüsten. Dazu braucht es Spannmittel, die in der Lage dazu sind. Hinzu kommt die hohe Genauigkeit beim Schleifprozess, da liegen wir im Toleranzbereich von maximal 3 µm.» Als das Konzept der Smart Factory stand, wurde nach einem Partner gesucht. Da WTO und Hainbuch sich aufgrund diverser Auslandsprojekte kannten und gute Erfahrungen miteinander gemacht haben, war Hainbuch Wunschpartner. Ende des Jahres 2019 fingen die ersten Gespräche dazu an und die Spannmittelwünsche wurden besprochen. Die ausgearbeiteten Konzepte von Hainbuch haben überzeugt.

Schrittweise automatisiert

WTO hat eine bestehende Fertigungshalle mit über 50 CNC-Maschinen. Gespannt wird auf diesen Maschinen überwiegend mit Backenfuttern und für die einzelnen OPs wird von Hand umgerüstet und ausgerichtet. Der erste komplett mannlose Fertigungsprozess, der in der Smart Factory umgesetzt werden sollte, war der eines Gehäuses mit Weich- und anschliessender Hartbearbeitung. Sascha Tschiggfrei erläutert: «Die Maschinen in der Smart Factory sind alle neu. Es sind Standardmaschinen, aber angepasst auf die speziellen Wünsche, um den automatisierten Spannmittelwechsel mit einem Roboter zu ermöglichen.» Es ging um vier Maschinen, die Hainbuch mit Spannmitteln ausstatten sollte. Zwei Dreh-Fräszentren in einer Zelle mit Innenspannung auf der Gegenspindel und zwei Rundschleifmaschinen in einer Zelle, davon eine mit Aussenspannung und eine mit Innenspannung. Für die Aussenspannung zum Schleifen hatte Hainbuch bereits ein Standardspannfutter, das Toplus AC 100 mit Axzug. Für die unterschiedlichen Gehäuse gibt es mittlerweile 18 Spannsets, bestehend aus Spannkopf mit Anschlag, die automatisiert ins Futter eingewechselt werden. Doch für die Innenspannung beim Drehen und Schleifen war eine komplette Neuentwicklung erforderlich. Die Modifikation basierte zwar auf dem vorhandenen Spanndorn Maxxos T211, aber in dieser Ausführung – mit den Sicherheitsabfragen – wurde der Dorn speziell entwickelt.

Hohe Anforderungen an Spannmittel

Für Björn Schiesling, Konstrukteur in der Automationsabteilung von Hainbuch und von Anfang an dabei, gibt es grundlegende Anforderungen, die bei der Automatisierung bedacht werden müssen. Er berichtet: «Was fehlt beim automatisierten Spannmittelwechsel? Das ist der Mitarbeiter, der die Kontaktflächen sauber macht. Schon kleinste Schmutzpartikel verursachen, dass die Genauigkeit nicht mehr passt. Dann die Sicherheitsabfragen. Darf die Spindel in Rotation versetzt werden? Ist es richtig gespannt? Liegt es richtig auf? Kann sich etwas lösen? Im Prinzip alles, was üblicherweise der Mitarbeiter prüft und einstellt. Das fällt bei der Automatisierung weg. Für uns war das eine riesige Challenge, die Abfragen in den Spannmitteln unterzubringen. Natürlich mussten wir auch mit dem Maschinenhersteller klären, wie das steuerungstechnisch mit einer Hublagenkontrolle ausgewertet werden kann. Ein Beispiel: Für eine Luftanlagekontrolle kann ich die Kanäle im Spannmittel vorsehen, sodass die Luftabfrage realisiert werden kann. Aber die Zuführung der Luft und die Sensorik, die dahintersteckt und mit der Maschinensteuerung kommuniziert, das muss der Maschinenhersteller umsetzen. Bis zur finalen Lösung gab es viele Stolpersteine, die wir aber erfolgreich aus dem Weg geräumt haben.»

Sicherheit vorrangig

Bei der Innenspannung hatte Hainbuch ebenfalls überlegt, die Segmentspannbüchse plus Anschlag zu wechseln. Doch aufgrund von Verschmutzungen vorne am Werkstück und den Sicherheitsabfragen kamen nur vorgerüstete Spanndorne infrage, die automatisiert umgerüstet werden. Björn Schiesling erklärt dazu: «Das hatte zu viele Tücken beim Reinhalten. Wir haben beim Spanndorn einfach nicht so viel Platz wie beim Spannfutter. Hinzu kommt, dass wir mit dem Zugbolzen die Spannbüchse auf einen Pyramidenstumpf ziehen. Hätten wir das nicht gemacht, müssten wir mit dem Roboter eine Passung in IT7-Grössenordnung einfügen. Da die Roboter aber etwas ungenau arbeiten, hätten wir den Wechsel nicht zuverlässig hinbekommen.» In der Schleifzelle sowie in der Dreh-Fräszelle stehen nun je zehn vorgerüstete Spanndorne Maxxos mit einer Schnittstelle centrotex AC bereit. Diese werden für die unterschiedlichen Gehäuse mit entsprechendem Set-up vorgehalten und automatisiert eingewechselt.

Forderungen erfüllt

Philipp Wussler, Bereichsleiter Schleifen bei WTO, hatte anfangs grosse Zweifel, ob alles funktionieren wird. Wie er berichtet, haben sich die Zweifel zum Glück in Luft aufgelöst. Er führt aus: «Die Spannmittel erfüllen alle Anforderungen, sei es die Reinheit, die Genauigkeit und, was ganz wichtig ist, die Wiederholgenauigkeit. Bei jedem Spanndornwechsel haben wir die geforderten 3 µm.» Durch den automatisierten Fertigungsprozess verkürzt sich die Rüstzeit um 25 Prozent zu früher, als mit dem Backenfutter gespannt, händisch umgerüstet und die Backen für die Genauigkeit geschliffen werden mussten. «Auch der Ausschuss hat sich deutlich reduziert beziehungsweise liegt fast bei null. Denn das Spannen war früher weniger genau. Jetzt spannen wir mit Axzug auf den Anschlag, und das ist viel genauer. Wenn ich das Bauteil einmal eingefahren habe, dann weiss ich, dass es beim nächsten Rüst­vorgang auch funktioniert. Somit muss ich mir über das Spannmittelthema keine Gedanken mehr machen», ergänzt Philipp Wussler.

Rundum erfolgreich

Sascha Tschiggfrei erläutert die Abläufe der Smart Factory: «Die Smart Factory ist so konzipiert, dass der einzige manuelle Vorgang die Anlieferung des Rohmaterials ist. Auch die fertigen Gehäuse, die in der Fertigungszelle geprüft und vermessen werden, holt ein fahrerloses Transportsystem an der Maschine ab und lagert sie ein. In der Smart Factory gibt es eine sogenannte Kommandozentrale mit Büros für die Planung der Fertigungsprozesse und für die Programmierung. Geplant werden auch die Spannmittel und die Festlegung der Handlingparameter für die Automation.» Weitere Projekte sind schon in Planung, und dafür liefert Hainbuch wieder die Spannmittel und ist beim Einfahrprozess dabei. Sascha Tschiggfrei fasst zusammen: «Wir sind sehr zufrieden. Wir haben uns einen Partner gewünscht, mit dem wir dieses Entwicklungsprojekt durch­ziehen können. Hainbuch hat alles gegeben, um das letzte µm zu finden. Herr Schiesling und Herr Wussler waren mit Herz und Seele dabei. Solche Leute braucht es, um so ein Projekt erfolgreich umzusetzen. Aus meiner Sicht lief es sogar besser als erwartet.» - kmu - SMM

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