Interview Systemintegration Vom Komponentenanbieter zum Systemlieferanten
Welche Wahl die Kunden bei der Automatisierung zwischen einer reinen Komponentenlösung, einem angepassten Bewegungssubsystem bis hin zu einem vollintegrierten System haben, erläutern Aerotech-Geschäftsführer Norbert Ludwig und Brian O’Connor, Vice President Marketing.
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SMM: Herr Ludwig, wie lange ist Aerotech bereits aktiv am Markt?
Norbert Ludwig: Bereits seit 1970 liefern wir Standardproduktlösungen wie Motoren, Antriebe, Steuerungen und Positioniertische. Zu unseren kundenspezifisch entwickelten Bewegungssubsystemen gehören Positioniersysteme auf Granitstrukturen mit Untergestell und Schwingungsisolation sowie externe Messsysteme.
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Lasereinsatz in der Medizintechnik
Am Zahn der Zeit bei der Implantatefertigung
Und was kennzeichnet Ihre Integrationslösungen?
N. Ludwig: Bei unseren integrierten Systemen handelt es sich um nahezu schlüsselfertige Maschinen, die gemeinsam mit den Kunden für die Durchführung eines automatisierten Prozesses entwickelt wurden. Diese enthalten nicht nur von Aerotech selbst gefertigte Präzisionskomponenten für die Bewegungssteuerung, sondern auch eine vollständige Automatisierungsintegration für bspw. Teilehandhabung, Prozessinstrumente, Sicherheitselemente sowie kundenspezifische Software.
Wie kommt ein Komponentenfertiger zu einer solchen Integrationskompetenz?
N. Ludwig: Wir haben in den letzten Jahren eng mit Kunden unterschiedlichster Branchen zusammengearbeitet und sind dabei immer weiter in den Bereich Prozessautomatisierung vorgedrungen. Als Hersteller von Automatisierungssystemen unterstützen wir fertigende Unternehmen dabei, ihren Prozess mit den von uns hergestellten Präzisionsbewegungskomponenten optimal zu automatisieren.
Brian O’Connor: Aerotech Inc. bietet seinen Kunden ein komplettes Spektrum an Integrationsmöglichkeiten, angefangen bei einer geringen Integration, sprich ausschliesslich Bewegungskomponenten, bis hin zu einer schlüsselfertigen Automatisierungsmaschine. Dadurch unterscheiden wir uns von einem Standardlieferanten für Bewegungskomponenten oder einem traditionellen Integrator. Einige Kunden möchten die Maschine selbst bauen, während andere sich mit dieser Option nicht ganz wohl fühlen. Wir sind in unserem Ansatz flexibel und arbeiten eng mit unseren Kunden zusammen, um die beste Lösung für ihre Bedürfnisse zu finden. Wenn wir eine schlüsselfertige Automatisierungsmaschine für einen Kunden entwickeln, verstehen wir das als eine Partnerschaft. Der Kunde kennt die Anwendung und versteht den Prozess zur Herstellung seines Teils, wir sind Experten darin, den Kundenprozess zu nehmen, um darauf basierend eine Maschine aufzubauen, die diesen Prozess mit höchster Genauigkeit und grösstmöglichem Durchsatz durchführt.
Und welche Kunden haben Sie vorrangig im Blick?
N. Ludwig: Unser Integrations-Know-how ist vor allem für Unternehmen attraktiv, die aktuell eine Produktion aufbauen, erweitern oder modernisieren wollen. Gerade im Bereich der Medizintechnik und in der Präzisionsfertigung besitzen viele Unternehmen weder Personal noch die Fertigungstiefe, um parallel Mechaniken und Steuerungssysteme zu entwickeln. Zudem werden die Lösungen smarter und komplexer, sodass ein einzelnes Unternehmen gar nicht mehr alle Implementierungsschritte beherrschen kann. Das Know-how des Lieferanten wird infolgedessen immer wichtiger. Und hier beginnt unsere eigentliche Arbeit als Hersteller von Automatisierungssystemen: Wir bieten eine ausführliche Integrationsberatung, an deren Ende entweder die Lieferung einzelner Komponenten, ein nahtlos integrierbares Subsystem oder eben eine vollständige Automatisierungslösung steht. Anwendungstrainings, Schulungen und Services runden unser Dienstleistungsportfolio zusätzlich ab.
Wo sehen Sie Ihre grössten Chancen am Automatisierungsmarkt?
N. Ludwig: Aerotech besitzt, gerade was Antriebskomponenten und Steuerungselemente betrifft, eine hohe Fertigungstiefe. Wir sind über die Jahre mit unseren Kunden gewachsen und haben Applikationswissen aus vielen Industriebereichen hinzugewonnen.
B. O’Connor: Unsere Philosophie der vertikalen Integration ermöglicht es uns, überaus flexibel zu sein und gleichzeitig Qualität und Leistung auf allen Ebenen der Maschine zu gewährleisten. Da wir Antriebe, Motoren, Steuerungen und Positioniermechanik selbst fertigen, wissen wir genau, wie sie miteinander sowie innerhalb einer Automatisierungsanlage interagieren. Dies ermöglicht es unserem Team, eine Maschine so anzupassen und zu optimieren, mit höchstmöglicher Ausbringung.
N. Ludwig: Handelt es sich etwa um einen Laserschweissprozess, bei dem der Laserstrahl möglichst schnell und präzise abgelenkt werden muss, wissen die Experten genau, welche Achsen in Kombination mit welchem Galvoscanner dafür in Frage kommen. Das können wir dann entsprechend vorbereiten, sodass der Kunde letzten Endes nur noch seinen Laser einkoppeln und mit ansteuern muss. Eventuell nutzt er auch unsere Steuerungsplattform, mit der er seine Laserschweissanlage gleich komplett fertigstellen kann. Darüber hinaus lassen sich in das Subsystem kundenindividuelle Spezifikationen aufnehmen, die weit über das Komponenten-Level bei Aerotech hinausgehen. Nutzt der Kunde bspw. einen Schaltschrank, so kann dort die Aerotech-Steuerungselektronik flexibel integriert werden. Auch weitere Elemente, die er etwa zur Ansteuerung seines Lasers bei der Vermessung von Teilen benötigt, lassen sich in den Schaltschrank installieren. Auf Mechanik-Seite beispielsweise liefern wir auch teilintegrierte Systeme, welche der Kunde nur noch komplettieren muss. Wird für die Maschine etwa ein Verstellersystem auf Granit benötigt, dann bereiten unsere Experten dies kundenindividuell vor. Weitere Zusatzapplikationen wie bspw. Laserstrahlenführung oder Sensorik kann der Anwender dann nach Bedarf selbst integrieren. Das sind Aufgaben, die uns hier täglich gestellt werden. Es geht darum, dem Kunden eine frei erweiterbare Lösung zu bieten, die ohne viel Aufwand möglichst schnell einsatzbereit ist und sich auch künftig flexibel an die Prozessanforderungen anpassen lässt.
Wie gehen Sie bei einer Systemintegration gewöhnlich vor?
N. Ludwig: Der erste Schritt hin zur tatsächlichen Integration beginnt bei uns immer mit einer ausführlichen Applikationsberatung. Dabei erfahren die Kunden auch, dass sich mit der Aerotech-Steuerungstechnik weit mehr bewegen lässt als etwa die 6-Achsen eines Hexapod-Positioniersystems. Muss der Laser bspw. abhängig von der Position des Hexapods getriggert werden und an einer bestimmten Stelle impulsfeuern, dann lässt sich das über die Steuerungsplattform Automation1 oder das Vorgängermodell A3200 ebenfalls realisieren. Auf diese Weise kann der gesamte Prozess von einer zentralen Steuereinheit aus betrieben werden. Auch Messvorgänge lassen sich über die Automation1-Plattform triggern, und zwar so, dass Messwerte über Analogeingänge mitverarbeitet und gespeichert werden, sodass das gesamte Ergebnis in einer zentralen Steuereinheit hinterlegt ist. Unsere gesamte Geschäftsstrategie ist auf eine enge Zusammenarbeit ausgelegt, und darauf, unseren Kunden langfristig einen Wettbewerbsvorteil in ihren jeweiligen Marktsegmenten zu verschaffen. Deshalb fragen wir vorab intensiv, was erreicht werden soll. Auf diese Weise dringen wir immer tiefer in die eigentliche Anwendung vor. Im Idealfall können wir dem Kunden ein System anbieten, bei dem bereits alles vorbereitet ist, sodass er seine Maschine nur noch konfigurieren muss.
Und wie sieht so etwas konkret aus?
N. Ludwig: Eine enge Zusammenarbeit entstand diesbezüglich mit einem bekannten Schweizer Hersteller für Zahnimplantate aus Keramik. Für das Lasern der Mikro-Schleifstifte wird dort ein Fertigungssystem von Aerotech mit integriertem Galvoscanner genutzt. Der komplette mechanische Teil mit Linearantrieb, Achsen und der Steuerungssoftware A3200 kam von Aerotech, das Gehäuse und die restliche Peripherie baute sich das Team des Implantateherstellers in Eigenregie zusammen. Zur Bearbeitung eines Werkstücks wird das Fertigungssystem von einem Handling-Roboter bestückt. Sowohl der Roboter als auch das verwendete Messsystem konnten beide über die Steuerungssoftware von Aerotech angebunden werden. Der Medizintechnikhersteller hatte keine Erfahrung mit Lasertechnik und wie diese mit einem Fertigungssystem integriert werden kann. Ihm war auch bewusst, dass es da keine Anlage mit integriertem Laser von der Stange gibt; trotzdem suchte das Unternehmen nach einem Lieferanten, der möglichst ein breites Spektrum abdecken kann. Mit Aerotech wurde ein passender Hersteller von Automatisierungssystemen gefunden, der die Idee der gewünschten Fertigungsanlage realisieren konnte. CNC-Steuerung, Linearantriebe, Achsen, Galvoscanner für den Laser: Aerotech konnte sämtliche Komponenten für die Fertigungsanlage bereitstellen und miteinander integrieren.
Liefern Sie auch komplette Subsysteme?
N. Ludwig: Ja, selbstverständlich. Wir bieten insbesondere auch Medizintechnikherstellern mit unseren Medizingerät-Laserschweisssystemen, Stent-Schneidesystemen und sonstigen Bewegungssystemen und -komponenten einen Wettbewerbsvorteil im stark umkämpften Markt der Medizinproduktefertigung. Als zwei Beispiele dafür möchte ich unsere Systemlösungen Hermesys und VascuLathe nennen. Hermesys ist ein Bewegungs-Subsystem für das Lasernahtschweissen von implantierbaren Herzschrittmachern, also ein Gasverschweissen unter hohem Druck. Aufgrund seiner kompakten Bauweise verfügt die Bewegungsplattform Hermesys über eine hohe Steifigkeit, was die Schweissqualität für Laser-Nahtschweissen nachweislich verbessert. Die kompakte Hermesys-Bauform mit wenigen hervorstehenden Aufbauten ermöglicht eine einfache Einbindung von Handlingsystemen zur Materialzu- und -abführung. In das System ist zudem ein automatisiertes Be- und Entladesystem integriert, so dass die Produktion von Herzschrittmachern vollautomatisiert betrieben werden kann – bei hohem Durchsatz und konstanter Qualität. Mit der VascuLathe haben wir eine innovative und kompakte Laserschneidlösung für die Stent-Fertigung entwickelt, die sich hervorragend in der Praxis bewährt hat. Das vollintegrierte Bewegungssystem kombiniert automatisierte Materialhandhabungsfunktionen mit direktangetriebenen Linear- und Drehbewegungen. Aufgrund des integrierten Linear-Rotations-Designs erhöht sich der Durchsatz um das Zwei- bis Fünffache im Vergleich zu herkömmlichen kugelumlaufspindelbasierten oder anderen Antriebsprinzipien und ermöglicht zudem Fertigungstoleranzen im Submikrometerbereich.
Wo werden Sie künftig noch weitere Integrationslösungen anbieten?
N. Ludwig: In unserer Funktion als Hersteller von Automatisierungssystemen wollen wir den Kunden gegenüber als zentraler Ansprechpartner auftreten. Deshalb suchen wir auch verstärkt strategische Partnerschaften zu anderen Anbietern, bspw. aus dem Bereich Oberflächenmesstechnik. Dem Thema «Integration von Messsystemen in Positioniersysteme» haben wir eine eigene Applikationsgruppe gewidmet. Wir können hier kundenspezifisch hinzuliefern, wenn der Anwender beispielsweise grossflächigere Proben vermessen muss, die über den Rahmen von Standardmessgeräten hinausgehen.
Wie weit gehen Sie dabei?
N. Ludwig: Mittlerweile lassen sich solche Integrationsformen für komplette Prüfmaschinen realisieren. Dabei sind wir jedoch nicht auf Keyence beschränkt, sondern können jederzeit auch Messsysteme anderer Hersteller nahtlos integrieren. Die benötigten Komponenten werden entweder direkt zum Kunden geliefert, oder sämtliche Integrationsmassnahmen werden bereits in Fürth vorgenommen, sodass der Kunde ein schlüsselfertiges Messsystem erhält.
B. O’Connor: Aerotech verwendet den Begriff «Integrierte Automatisierungssysteme» für Systeme mit Präzisionsbewegungssteuerung und Automatisierung als Kernstück, bei denen der Kunde nur wenig bis gar keine Integration vornehmen muss, sobald er die Ausrüstung erhält. Das heisst, die Maschine ist nahezu schlüsselfertig.
Wo sehen Sie sich zukünftig, also was wollen Sie Ihren Kunden an Systemlösungen alles bieten, Herr O'Connor?
B. O’Connor: Wir werden auch weiterhin tun, was wir am besten können, während wir uns gleichzeitig an die zukünftigen Bedürfnisse einer modernen, technologischen Gesellschaft anpassen. Wir werden auch in Zukunft hochpräzise Antriebs- und Automatisierungslösungen anbieten, die von Komponenten bis hin zu kompletten schlüsselfertigen Automatisierungslösungen reichen. Allerdings werden wir dies tun, indem wir Makrotrends wie verbesserte Konnektivität, intelligentere Automatisierung, vorausschauende Analytik und Miniaturisierung in diesen Designs berücksichtigen.
Herr Ludwig und Herr O’Connor, wir bedanken uns für das aufschlussreiche Gespräch. -ari- SMM
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