3D-Druck mit amorphen Metallen Implantate aus dem 3D-Drucker

Von Laura Kastenmayer

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Mittels 3D-Druck können individuell an den Patienten angepasste Implantate hergestellt werden. In einer Kooperation erforschen die Partner Trumpf und Heraeus Amloy die komplette Prozesskette der additiven Fertigung für patientenspezifische Implantate.

Radiusplatten aus dem 3D-Drucker passen sich den Bewegungen der Knochen an und erleichtern den Heilungsprozess.
Radiusplatten aus dem 3D-Drucker passen sich den Bewegungen der Knochen an und erleichtern den Heilungsprozess.
(Bild: Heraeus Amloy)

Amorphe Metalle sind wahre Multitalente. Denn sie haben aussergewöhnliche Eigenschaften: Sie sind extrem fest, gleichzeitig aber hochelastisch. Eigentlich schliesst sich das gegenseitig aus, doch ihre besondere Beschaffenheit macht es möglich. Amorphe Metalle, auch metallische Gläser genannt, haben eine ungeordnete innere Struktur. Diese entsteht durch eine hohe Abkühlrate der Schmelze. Dadurch können sich die Teilchen im Metall nicht gleichmässig anordnen. Eine Kristallisation des Materials wird verhindert und es entsteht ein amorpher, also nicht kristalliner Festkörper, in dem die Atome in einem weitestgehend ungeordneten Zustand verbleiben. Zur hohen Elastizität und Festigkeit kommen aber noch weitere Eigenschaften hinzu. Die spezielle Struktur macht die amorphen Metalle besonders korrosionsbeständig und verschleissfest. Damit bekommt die Medizintechnik genau, was sie sucht: die perfekten Werkstoffe zur Herstellung von langlebigen Skalpellen oder minimalinvasiven Instrumenten. Aber auch im menschlichen Körper werden amorphe Metalle künftig eine wichtige Rolle spielen – als Implantate. Unter Druck und Spannung verhalten sie sich fast wie menschliche Knochen, denn sie haben ein ähnlich niedriges Elastizitätsmodul. Sie sind weniger steif als bisher verwendete Materialien und passen sich dadurch den gegebenen Belastungen besser an. Und noch ein weiteres Kriterium erfüllen die neuen Werkstoffe: Sie sind ebenso biokompatibel wie das bewährte Titan oder dessen Legierung Ti6Al4V. Das heisst, sie werden vom Körper besonders gut angenommen.

Neue Legierungen für die additive Fertigung

Für die Herstellung von Implantaten entwickelt das Hanauer Unternehmen Heraeus Amloy derzeit neue Legierungen. Eugen Milke, Innovation Manager bei Heraeus Amloy, erklärt: «Für die Medizintechnik eignen sich Zirkonium-basierte Legierungen. Hier verfügen wir mit dem Amloy-ZR02 bereits über einen nach ISO 10993-5 und ISO 10993-12 als biokompatibel zertifizierten Werkstoff.» Laut E. Milke gibt es in der Medizinbranche zudem eine grosse Nachfrage nach Titan-Legierungen: «Titan ist ein bereits erprobtes Material für medizinische Komponenten wie Knochenimplantate oder Herzschrittmacher. Deshalb forschen wir aktuell auch an Titan-Legierungen.» Für die Fertigung der Medizinprodukte setzt das Entwicklerteam auf die additive Fertigung. Die Zusammensetzung von Amloy-ZR02 hat das Unternehmen speziell dafür angepasst. In einem gemeinsamen Projekt mit den Laserexperten von Trumpf arbeitet Heraeus Amloy daran, amorphe Bauteile auf einer TruPrint 2000 im industriellen Massstab zu drucken.

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Innovatives Verfahren trifft innovativen Werkstoff

Der 3D-Druck und die neuen leichten Werkstoffe bilden ein hervorragendes Team. Der Laser baut nur dort Strukturen auf, wo sie benötigt werden. Das spart Material und Gewicht, selbst bei grossen und komplexen Bauteilen. Der geringe Wärmeeintrag ist eine wichtige Voraussetzung für die Fertigung von amorphen Metallen. Mit einem Strahldurchmesser von 55 Mikrometer erzeugt der Laser lediglich ein kleines Schmelzbad. Die Wärme wird schnell abgeführt und die kritische Abkühlgeschwindigkeit von 200 Kelvin pro Sekunde eingehalten. Das Metall kann nicht kristallisieren. Der kleine Fokusdurchmesser unterstützt zudem die Herstellung von komplexen Strukturen mit hoher Detailauflösung und Oberflächenqualität.

Klaus Parey, Managing Director bei Trumpf Additive Manufacturing, ist überzeugt: «Amorphe Metalle bieten Potenziale für zahlreiche Industrien. Vor allem in der Medizintechnik lassen sie sich optimal einsetzen, einer der wichtigsten Branchen für die additive Fertigung. Deshalb sehen wir in der Kooperation grosse Chancen, diesen wichtigen Markt mit unseren Anlagen für den industriellen 3D-Druck weiter zu erschliessen.» Jürgen Wachter, Leiter der Geschäftseinheit Heraeus Amloy, sieht das genauso: «Die Verbindung von innovativen Werkstoffen mit dem additiven Fertigungsprozess eröffnet revolutionäres Potenzial: Mittels 3D-Druck können individuell an den Patienten angepasste Implantate in enger Zusammenarbeit mit Kliniken hergestellt und eingesetzt werden.»

Massgeschneiderte amorphe Implantate aus dem 3D-Drucker

Wie das genau aussehen kann, erforschen die beiden Partner seit Oktober 2019 auch im Rahmen des «Clinical Additive Manufacturing for Medical Applications»-Projekts (CAMed) der Medizinischen Universität Graz. Gefördert wird das Projekt vom österreichischen Bundesministerium für Klimaschutz, Umwelt, Energie, Mobilität, Innovation und Technologie (BMK), vom österreichischen Bundesministerium für Digitalisierung und Wirtschaftsstandort (BMDW) und von der Steierischen Wirtschaftsförderungsgesellschaft (SFG). CAMed hat das Ziel, die komplette Prozesskette der additiven Fertigung für patientenspezifische Implantate zu untersuchen. Neben Themen wie Simulation und Datenverarbeitung sowie spezifischen Nacharbeitsschritten werden auch neue Materialien und Fertigungsmethoden adressiert.

Konkret bedeutet das: Rippen sowie individualisierte Platten für die Traumabehandlung entstehen mittels 3D-Druck. Besonders bei komplexen orthopädischen Frakturen ist das Potenzial enorm. Oftmals muss man beim Einsatz der am Markt verfügbaren Implantate wie Radius- oder Traumaplatten viele Kompromisse eingehen. Es gibt nur wenige Grundgrössen, bei Läsionen nach Traumata oder Tumoren muss darum improvisiert werden. Der ausführende Chirurg biegt die Ersatzteile aus einem Stück Metall händisch zurecht und fixiert sie mit Schrauben am Knochen. Das hält mal mehr, mal weniger gut. Schliesslich sind die Implantate einer Dauerbelastung ausgesetzt. Eine eingesetzte Rippe muss jährlich circa acht Millionen Atembewegungen mitmachen. In vielen Fällen kommt es zu Ermüdungsbrüchen oder instabilen Brustbeinfixierungen, die einen erneuten Eingriff nötig machen. Alternativen gibt es bisher nicht. Für eine optimale Heilung ist zudem oftmals gleichzeitig eine Stabilisierung und Bewegung des Knochens erforderlich. Die Humerus-Platte, mit der der Oberarmknochen fixiert wird, ist ein Beispiel dafür. Herkömmliche Implantate kommen hier an ihre Grenzen.

Der 3D-Druck liefert dagegen massgeschneiderte amorphe Implantate, die einerseits die nötige Festigkeit haben, andererseits aber flexibel genug sind, um Bewegungen mitzugehen und abzufedern. Mithilfe des additiven Verfahrens lassen sich poröse Oberflächenstrukturen herstellen, die das Anwachsen des Knochens erleichtern. Ist eine glatte Oberfläche notwendig, da das Implantat wieder entfernt werden soll, sind die Oberflächengüten von 1 Mikrometer direkt nach dem Druck besser als bei den meisten anderen Materialien. Ist eine noch bessere Oberflächengüte erforderlich, kann man über Fräsen Oberflächengüten von Ra 0,05–0,08 Mikrometer erzielen.

Fast wie ein menschlicher Knochen

Im Rahmen des CAMed-Projekts testet Heraeus aktuell die Legierung Amloy-ZR02. Sie setzt sich aus 65 Prozent Zirkonium, 16 Prozent Kupfer, 12 Prozent Nickel, 4 Prozent Aluminium und 3 Prozent Titan zusammen. Mit einer Materialdichte von 6,6 g/cm³ ist diese neue Legierung zunächst schwerer als die in der Medizintechnik gängigen Titanlegierungen. Mit der Designfreiheit, die additive Verfahren bieten, und den damit verbundenen Materialeinsparungen können Bauteile jedoch um 20 Prozent leichter ausgelegt werden. Dazu tragen auch die hohen Biegefestigkeiten von 2000 Megapascal und Zugfestigkeiten von 1700 Megapascal bei, denn sie machen dünnere Teile möglich. Mit seinem geringen Elastizitätsmodul von 85 Gigapascal ist es dem menschlichen Knochen mit 17–21 Gigapascal ausserdem ähnlicher als Titan. Sind Flexibilität und Stabilität gefragt, eignen sich Platten aus der Amloy-Legierung besonders gut, denn sie können dünner ausgelegt werden als ihre Pendants aus Titan. Das erleichtert den Genesungsprozess.

Völlig neue Möglichkeiten

Die ersten Erkenntnisse aus dem CAMed-Projekt sind vielversprechend – additiv gefertigte Implantate, angepasst auf den Patienten und ausgestattet mit exzellentem Materialverhalten rücken damit in greifbare Nähe. Weitere Anwendungen wie Prothesen oder Herzklappen sind ebenfalls denkbar. Mit ihren aussergewöhnlichen Eigenschaften lassen sich amorphe Metalle vielseitig einsetzen und eröffnen gerade in der Medizintechnik zahlreiche neue Einsatzmöglichkeiten. SMM

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